Unternehmen wandeln sich – und das radikal: Die Digitalisierung von Produkten, Märkten und Prozessen ist ein Megatrend mit nicht abzusehenden Folgen. Aktuelle Entwicklungen kommen uns teilweise wie Science Fiction vor. Aber eines bleibt in den meisten Unternehmen gleich: Mitarbeiter bekommen Führungskräfte vor die Nase gesetzt, die sie sich nicht ausgesucht haben und die darüber bestimmen, was sie den ganzen Tag zu tun und zu lassen haben. Es ist an der Zeit, dass sich auch hier etwas verändert. Mitarbeiter sollten die Wahl ihrer Führungskräfte haben.
Beteiligung ja, aber nicht im Unternehmen
In Deutschland leben wir in einer Demokratie. Alle vier Jahre wählen wir den Bundestag und damit indirekt die Kanzlerin / den Kanzler unserer Republik. Dazwischen wählen wir noch Landesparlamente, auf kommunaler Ebene, beteiligen uns an Demonstrationen und Bürgerinitiativen, sammeln Unterschriften usw. Nur da, wo viele von uns die meiste Zeit des Tages verbringen, da akzeptieren wir einfach, dass eine Person, die wir uns nicht ausgesucht haben, über unser Gehalt, unsere Karrierechancen, unseren Arbeitsort und über unsere Aufgaben bestimmt. Und wenn uns das nicht mehr gefällt, dann haben wir kaum eine Möglichkeit, das zu verändern. Wir können nur woanders hingehen, wo wir bessere Chancen für uns sehen. Die schlechte Beziehung zum Vorgesetzten ist der häufigste Kündigungsgrund und das schon seit Jahrzehnten – Zeit neu zu Denken.
Abstimmung mit den Füßen
Vor allem gefragte Talente stimmen heute schon mit den Füßen ab. Denn wir haben immer die Wahl: bleiben oder gehen? Nur: Unternehmen bringt es nicht weiter, wenn hochqualifizierte und gefragte Mitarbeiter einfach gehen. Deshalb müssen sie aufhören, ihre Mitarbeiter zu bevormunden. Lassen Sie ihnen nicht nur die Wahl „bleiben oder gehen“. Geben Sie Ihnen eine echte Wahl und beteiligen Sie die Mitarbeiter an wichtigen Entscheidungsprozessen in Unternehmen – Stellen Sie Führungskräfte zur Abstimmung.
Vorteile einer Wahl im Unternehmen
Wir bei Haufe-umantis AG wählen im fünften Jahr unsere Führungskräfte. Einmal jährlich wird jede Führungsrolle vom Verwaltungsratsvorsitz, dem Top-Management, den Teamleitern bis hin zu Scrum Mastern und Produkt Ownern in den agilen Teams gewählt. Die Wahl der Führungskräfte ist ein wichtiger Baustein unserer Unternehmenskultur, der unsere People Performance und somit den Geschäftserfolg ausmacht.
Wer seinen Chef / seine Chefin wählt, der setzt sich dadurch auch mit seiner Arbeit, seinen Aufgaben, seinen Erwartungen auseinander. Die Wahl der Führungskräfte hat deshalb zahlreiche Vorteile:
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Gewählte Führungskräfte haben mehr Rückhalt
Je nach Wahlmodus ist bis zu eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich, um „ins Amt“ zu kommen bzw. dort zu bleiben. Wer seine Führungskraft in der Wahl unterstützt hat, versucht meist auch, die spätere Zusammenarbeit zum Erfolg zu führen.
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Erwartungen und Perspektiven formulieren, kommunizieren und abgleichen
Wer sich als Führungskraft zur Wahl stellen will, braucht ein Wahlprogramm: Kandidaten müssen deshalb formulieren, wie sie ihre Führungsaufgabe ausgestalten und wahrnehmen wollen. Auf der anderen Seite müssen die Mitarbeiter überlegen, was sie von ihrer Führungskraft erwarten und diese Erwartungen abgleichen mit den Programmen der Kandidaten. So beschäftigen sich alle Beteiligten intensiver mit Führungsaufgaben und mit Zukunftsperspektiven.
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Klare Rollen
Durch den Abgleich der Erwartungen im Vorfeld haben gewählte Führungskräfte mehr Akzeptanz von ihren Mitarbeitern zu erwarten. Ihre Führungsrolle ist schließlich demokratisch legitimiert. Schuldzuweisungen und Frustablassen werden damit seltener.
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Wahlen als Feedback
Wenn Sigmar Gabriel als SPD-Vorsitzender statt 94 nur noch 73 Prozent der Stimmen bekommt, ist allen klar, dass das eine Klatsche bedeutet. Ähnlich bei Führungskräften: Wenn sie mit weniger Stimmen als beim letzten Mal wiedergewählt werden, ist das ein klares Feedback, dass bei der Führung etwas verändert werden muss.
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Wer die Wahl hat, hat die Verantwortung
Wer sich über mangelnde Aufstiegsmöglichkeiten beschwert, der kann durch eine Wahl sein Schicksal selbst in die Hand nehmen. Alle Mitarbeiter können sich selbst zur Wahl um eine Führungsrolle stellen und so die Verantwortung für die eigene Karriere übernehmen. Durch Austausch mit den anderen Mitarbeitern im Vorfeld können Kandidaten ihre Chancen recht zuverlässig einschätzen und ihr Profil, falls nötig, noch schärfen.
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Auch eine Nicht-Wahl ist eine Wahl
Auch wenn nur ein Kandidat zur Wahl steht: Niemand ist gezwungen, ihm seine Stimme zu geben. Kandidaten können damit auch abgewählt werden. Wenn Führungskräfte so an ihre Grenzen stoßen, dann ist offenes Feedback notwendig.
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Abwahl wird normal
Wer nicht in seiner Führungsposition bestätigt wird, für den wird es sich erstmal wie eine herbe Niederlage anfühlen. Mit der Zeit wird der demokratische Prozess aber zur Normalität – und ein selbstbestimmter Rücktritt eine echte Alternative und kein Stigma. Ein völlig neue kulturelle Dimension. Insgesamt wird durch die Wahl der Führungskräfte ein Reflexionsprozess gefördert, der sich intensiv mit der Führungsrolle und den Erwartungen der Mitarbeiter auseinandersetzt.
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Mut zu Experimenten
Der gewählte CEO von Haufe-umantis Marc Stoffel schildert im TEDx Talk „Why it’s time to elect your boss“ seine persönlichen Erfahrungen mit der Wahl.
Quelle: TEDx Talks / YouTube
Der erste DAX-Konzern, der seine Mitarbeiter wählen ließ, war Ende 2016 die Deutsche Telekom, Philipp Schindera, der Leiter der Corporate Communication, hat zusammen mit seinem Team beschlossen, das Experiment zu wagen. Besonders stolz bin ich, dass wir die Deutsche Telekom bei der Wahl von Mitarbeitern begleiten durften. Meine Erfahrungen mit der Herausforderung eines Konzerns und wie die Wahl genau ablief habe ich in diesem Blogbeitrag beschrieben. Vor einigen Wochen hat sich auch der zweite Business Bereich im Konzern getraut und erste Wahlexperimente durchgeführt. Ich finde eine klasse Entwicklung und bin gespannt welcher Konzern ähnlich mutig ist und so ein Experiment startet?
Mut zur Wahl heißt Mut zum Erfolg
Unsere jahrelangen Erfahrungen bei Haufe-umantis und der Telekom haben uns gezeigt, dass wir auf einem guten Weg sind, aber noch lange nicht am Ziel. Egal ob kleine Unternehmen oder große Konzerne: Mut ist gefragt, wenn die alten Denkmuster, Managementmethoden und Vorgehensweisen wirklich aufgebrochen werden sollen. Wir müssen lernen, nicht an Posten zu kleben und unsere Pfründe zu verteidigen. Sondern Mitarbeitern die Wahl zu geben, damit Führung besser wird, Arbeit angenehmer und Unternehmen erfolgreicher.
Über dieses Thema ist auch ein Gastbeitrag von mir beim Human Resources Manager erschienen.