Im 19. Jahrhundert entwickelten Wirtschaftswissenschaftler die Theorie vom „Homo oeconomicus“: Dieses vernünftige Wesen handelt rein rational und unterwirft all seine Entscheidungen ausführlichen Kosten-Nutzen-Abwägungen. Dass (fast) niemand in der Realität so entscheidet, dürfte wohl jedem klar sein – zahlreiche Studien haben dies in der Vergangenheit gezeigt. In Reaktion auf die Kritik entwickelte sich in den 1960er Jahren die Verhaltensökonomik. Sie befasst sich ebenfalls mit dem Verhalten von Menschen im wirtschaftlichen Kontext, bezieht aber deutlich mehr Faktoren ein und ist dadurch weit treffsicherer. Diese Modelle gewinnen auch in Bezug auf die Personalführung immer stärker an Bedeutung, da sie in der Lage sind, das Verhalten von Mitarbeitern zu steuern und zu beeinflussen. Ich stelle hier drei Ansätze vor, die auf verschiedenen Erkenntnissen des menschlichen Entscheidungsverhaltens und der Verhaltensökonomik fußen.
Verhalten beeinflussen – am besten unbemerkt
„Verhalten beeinflussen“ – das klingt vielleicht erstmal ein bisschen spooky – nach Manipulation und Fremdsteuerung. Aber wenn wir darüber nachdenken, dann wird klar: Wir selbst wollen ständig das Verhalten anderer beeinflussen – und umgekehrt ist es genauso. Wir wollen, dass unsere Kinder abends brav ins Bett gehen und dass unsere Chefin die Gehaltserhöhung durchwinkt. Wir wollen, dass der Verkäufer an der Supermarktkasse freundlich zu uns ist und dass am Nebentisch im Café keiner raucht. Verhaltensbeeinflussung ist an der Tagesordnung. Und: wenn sie ohne strikte Vorgaben auskommt, dann ist sie deutlich erfolgreicher.
Stellen Sie sich einfach mal vor, Sie kaufen einen Coffee-to-go im Pappbecher und derjenige hinter Ihnen in der Schlange sagt: „Sie verhalten sich ignorant und umweltschädigend. Dieser plastikbeschichtete Pappbecher ist kaum recyclebar und wird im Magen einer Schildkröte zu deren sicherem Tod führen.“ Wie reagieren Sie wohl? Wahrscheinlich werden Sie mehr oder weniger freundlich darauf hinweisen, dass Ihr Einkaufsverhalten andere überhaupt nichts angeht. Wir werden eben ungern kritisiert und Verbote mögen wir auch nicht. In der Psychologie nennt man dieses Verhalten „Reaktanz“ – und das ist natürlich das letzte, was man mit Verhaltensbeeinflussung erzielen möchte.
Was im Alltag durch Gesellschaft, Politik und Werbung passiert, ist auch in Unternehmen an der Tagesordnung. Gerade in der Personalführung steht die Beeinflussung von Mitarbeitern im Zentrum. Dabei hilft die Verhaltensökonomik.
Warum Mitarbeiterverhalten beeinflussen?
Personalführung besteht im Grunde darin, das Verhalten der Mitarbeiter positiv zu beeinflussen. Die Gründe sind:
- Leistungsfähigkeit und Performance der Mitarbeiter steigern
- Kreativität der Mitarbeiter fördern
- Konkurrenzfähigkeit des Unternehmens durch bessere Leistungen und höhere Innovationskraft verbessern
- individuelle Entwicklungsmöglichkeiten der Mitarbeiter ausschöpfen
- intrinsische Motivation und dadurch Arbeitszufriedenheit steigern
- Gesundheit und Wohlbefinden der Mitarbeiter verbessern
Was Entscheidungen beeinflusst: Ansätze der Verhaltensökonomik
Die Verhaltensökonomik liefert wichtige Anhaltspunkte, wie diese Beeinflussung am besten gelingt. Denn neben einer Kosten-Nutzen-Abwägung fließen in menschliche Entscheidungen noch zahlreiche weitere Aspekte ein. Wir richten uns unter anderem auch nach
- Entscheidungskontext: Was ist für mich mit dem geringsten Aufwand verbunden?
- Soziale Rolle: Wie verhält sich meine Gruppe?
- Herdentrieb: Was machen die anderen?
Kurzum: Wären wir alle homines oeconomici, dann wäre es ein Leichtes, Mitarbeiter, Verkehrsrowdys und Umweltsünder mit Belohnungen bzw. Strafen zum gewünschten Verhalten zu bringen. Ist es aber nicht.
„Belohnen ist das neue Bestrafen“
Prämien, Boni, Süßigkeiten: Sie alle belohnen für bestimmte Leistungen, die erreicht wurden. Die Zeit titelte vor kurzem: „Belohnen ist das neue Bestrafen“. Das Prinzip von Belohnungen richtet sich nach der Konditionierung: Wenn der Hund immer dann seinen Knochen bekommt, wenn eine Glocke erklingt, dann fängt er irgendwann auch zu sabbern an, wenn er nur die Glocke hört – ohne Knochen. So erhofft man es sich auch von Belohnungen: Wer immer belohnt wird, wenn er etwas leistet, wird irgendwann auch ohne Belohnung leisten. Aber das Gegenteil ist der Fall: Wer zu Beginn eine Leistung erbracht hat, weil er sich mit der Aufgabe identifizierte und einen Sinn darin sah, wird sie bei ständiger Belohnung ohne diese irgendwann nicht mehr erfüllen.
Die Belohnung von außen ist also ein Motivations-Killer. Was das für steigende Bonuszahlungen bedeuten sollte, muss ich wohl nicht näher erläutern.
Wer mit Anreizen arbeitet, beschäftigt sich nicht mit Ursachen
Hinzu kommt ein weiterer Faktor: Wer belohnt, beschäftigt sich nicht mit den Ursachen eines Verhaltens. Statt zu fragen, warum Mitarbeiter unzufrieden sind und beispielsweise nur unzureichende Lösungen entwickeln, versucht man, das Problem zu unterdrücken. Vielleicht liegt es am schlechten Klima in der Gruppe, vielleicht herrscht zu wenig Diversity, vielleicht ist der Zeitdruck zu hoch, vielleicht die Teamleitung inkompetent. All diese Probleme wird man nicht identifizieren, wenn man den Mitarbeitern eine Belohnung in Aussicht stellt. Diese mag zwar kurzfristig wirksam sein, mittelfristig sind sie jedoch völlig wirkungslos. Belohnungen motivieren zudem dazu, Fehler unter den Teppich zu kehren: Denn wenn das gewünschte Ergebnis nicht erzielt wird, dann gibt es auch keine Belohnung – was einer Strafe gleichkommt.
Fazit: Statt zu belohnen, sollten Führungskräfte die individuellen Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter berücksichtigen, offen für Gespräche sein und bei Problemen nach den Ursachen forschen. Dass dies positive Effekte erzielt, zeigen zahlreiche Studien zum Führungsverhalten. So setzt beispielsweise auch ein transformationaler Führungsstil auf die nachhaltige Veränderung von Verhalten, indem
- Führungskräfte als Vorbilder fungieren: Sie erfüllen hohe ethische und moralische Standards und erwerben dadurch Vertrauen und Respekt ihrer Mitarbeiter.
- Führungskräfte ihre Mitarbeiter inspirieren und motivieren: Sie setzen anspruchsvolle, aber angemessene Ziele und unterstützen ihr Team bei deren Erreichung.
- Führungskräfte intellektuell stimulieren: Sie fördern die Kreativität ihrer Mitarbeiter und fordern das Verlassen der Komfortzone
- Führungskräfte ihre Mitarbeiter individuell fördern: Sie erkennen und wertschätzen die individuellen Fähigkeiten und Kompetenzen des Einzelnen und unterstützen deren Weiterentwicklung.
Auch der Münchner Professor Dieter Frey hat erforscht, wie Führung gestaltet sein muss, dass sowohl Mitarbeiter als auch Unternehmen profitieren. Mehr dazu in meinem Interview mit ihm.
Nudging: Mit kleinen Anstupsern zu positiven Verhaltensänderungen
Wie, wenn nicht mit Belohnungen, lässt sich dann das Verhalten von Mitarbeitern verändern? Eine Möglichkeit ist das so genannte Nudging. Für dieses Modell bekam der Wirtschaftswissenschaftler Richard Thaler 2017 den Nobelpreis. Durch Nudging lassen sich Verhaltensänderungen erzielen, ohne Verbote, Gebote oder ökonomische Anreize zu verändern. Nudges können sich auf Voreinstellungen und Auswahlmöglichkeiten, auf Informationen und auf Selbstkontrolle beziehen. Einige Beispiele:
- Um Mitarbeiter zu gesünderer Ernährung zu bewegen, können in der Kantine Obst und Gemüse auf Augenhöhe platziert werden. Kekse, Chips und Schokolade verschwinden aus dem Blickfeld.
- Um Papier zu sparen, können die Drucker-Voreinstellungen auf „doppelseitig“ gestellt werden – so konnte in Unternehmen der Papierverbrauch um 44 Prozent gesenkt werden.
- Die Lebensmittelampel würde Konsumenten eine komplexe Entscheidung erleichtern: Statt mühselig die Zutatenliste zu entziffern, würde Rot, Gelb oder Grün sofort anzeigen, ob Fett-, Zucker- und Salzgehalt gesund oder nicht sind.
- In Österreich ist die Organspenderate deutlich höher als in Deutschland: Denn dort ist jeder Organspender – außer man widerspricht.
- Spielsüchtige können eine Selbstsperre beantragen, die ihnen den Zugang zu Spielbanken verwehrt.
Mit Nudging werden keine Entscheidungen vorgegeben; sie zeigen aber eine bestimmte Richtung auf und bevorzugen diese gegenüber anderen. In der Regel handelt es sich dabei um die Variante, die für die Gesundheit, das Wohlbefinden des Einzelnen und die Gesellschaft bzw. das Unternehmen vorteilhaft ist. Jeder hat aber die Möglichkeit, sich auch anders zu entscheiden. Das betont Thaler auch in seiner Forschung: Abweichung muss auf einfache Art möglich sein – z.B. durch einen Klick oder durch ein vorgefertigtes Formular.
Verhaltensökonomik: Nudging und Mitarbeitermotivation mit Benefits umsetzen
Fast alle Unternehmen bieten ihren Mitarbeitern heute bestimmte Benefits an, also Zusatzleistungen zum Gehalt, von denen die Mitarbeiter profitieren. Auch die Unternehmen haben daraus aber wichtige Vorteile: Die Mitarbeiter sind motivierter, gesünder, leistungsfähiger und haben weniger Ausfallzeiten. Benefits werden eher als Investition denn als Kosten gesehen, das zeigte auch das Kienbaum Benefits Forum, bei dem sich Anfang des Jahres zahlreiche Unternehmen über Benefits und Mitarbeitererwartungen austauschten. Der entscheidende Unterschied zwischen Belohnungen und Benefits ist, dass man eine Belohnung im Austausch für eine bestimmte Leistung erhält (Transaktion). Benefits erhalten die Mitarbeiter jedoch grundsätzlich und unabhängig von bestimmten Leistungen. Dabei können sie meist aus verschiedenen Leistungen wählen. Mögliche Benefits sind
- flexible Arbeitszeiten
- Home-Office-Lösungen
- betriebliche Altersvorsorge
- Zusatzversicherungen
- betriebliche Kinderbetreuung
Zunehmend wichtig wird für Arbeitnehmer die Vereinbarkeit von Familie und Berufsleben, weshalb flexible Arbeitszeiten schon fast als selbstverständlich angesehen werden. Grundsätzlich gilt: Die angebotenen Benefits müssen zu den Lebensumständen der Mitarbeiter passen. Während der eine gern einen schnellen Dienstwagen hat und wegen mehrerer Bandscheibenvorfälle ergonomische Büromöbel braucht, ist für den anderen Home-Office und eine zusätzliche Pflegeversicherung interessant. Wer seine Mitarbeiter um Feedback bittet, Wünsche aufnimmt und sein Portfolio regelmäßig überarbeitet hat gute Chancen, das für jeden etwas dabei ist.
Herdentrieb nutzen
Wie bereits oben erwähnt, beziehen wir in unsere Entscheidungen auch immer die anderen ein. Das ist evolutionär in uns angelegt: Wer in der Steinzeit aus seiner Gruppe ausgeschlossen war, war dem Tod geweiht. Kein Wunder also, dass wir so sein möchten wie alle.
Während Verbote also Reaktanz hervorrufen, löst ein Hinweis darauf, was die anderen machen, Interesse und im besten Fall Nachahmung aus. So konnte durch den Hinweis „Immer mehr Menschen entscheiden sich gegen einen Wegwerfbecher und für eine Mehrwegtasse“ der Verbrauch von Einweg-Pappbechern in einer Münchner Cafeteria signifikant reduziert werden. Auch bieten immer mehr Unternehmen statt eines Dienstwagens Fahrradleasing-Modelle an. Dadurch wird sowohl umweltfreundliches als auch gesundheitsförderndes Verhalten unterstützt – ein wichtiger Nudge! Verbunden mit dem Hinweis: „Immer mehr Menschen entscheiden sich gegen einen Dienstwagen und für ein Fahrrad“ ließe sich die Nutzung sicherlich noch erhöhen.
Dieses Prinzip lässt sich natürlich auch bei der Leistungssteigerung von Mitarbeitern einsetzen. Best Practice Beispiele, Durchschnittsergebnisse oder die besten Leistungen rufen idealerweise Nachahmungseffekte hervor.
Verhaltensökonomik setzt Reize anders
Ziel von Führung darf es nicht sein, die intrinsische Motivation durch extrinsische Anreize zu zerstören. Wir sind eben nicht nur auf materielle Vorteile bedacht, sondern möchten auch dazu gehören. Wir wollen Sinn in unserer Arbeit sehen und uns mit dem großen Ganzen identifizieren. Mitarbeiter müssen deshalb die beste Lösung für sich und das Unternehmen wählen können. Verhalten muss daher auch immer so beeinflusst werden, dass es nicht manipulativ ist – sondern dass jeder auch die Chance hat, sich anders zu entscheiden. Doch um den inneren Schweinehund zu überwinden, sind kleine Anstupser oft förderlich. Sie schaden nicht, sondern sie nutzen dem Einzelnen, dem Unternehmen und der Gesellschaft.
Quelle Titelbild: JESHOOTS.COM on Unsplash
Nice post. Danke.