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Mission (Im)possible?! – wie Digitalisierung in die Vorstände gelangt

Digitalisierung ist das Thema, das die Welt und deutsche Wirtschaft in den nächsten Jahren und Jahrzehnten prägen und revolutionieren wird. Gravierende Veränderungen haben bereits stattgefunden. Sie wirken sich auf Produkte, auf Services, Bildung sowie die Art Unternehmen und Menschen zu führen, aus. Ihr könnt das auf meinem Blog in vielen Beiträgen mitverfolgen. Die Vorstände der großen DAX-Konzerne wissen längst: Digitalisierung und Innovation gehen Hand in Hand. Eine aktuelle Studie, deren Ergebnisse Ende September in der ZEIT veröffentlicht wurden, zeigt jedoch, dass es bei vielen Vorständen an konkretem Wissen und Erfahrungen hinsichtlich der Digitalisierung mangelt – und zwar ordentlich. Die Ergebnisse sind einerseits überraschend – andererseits decken sich viele Erkenntnisse auch mit dem, was ich seit vielen Jahren in den Unternehmen erlebe. Nicht umsonst ist Deutschland weder führend in der Digitalisierung noch in der digitalen Transformation.

Studie: 92 Prozent der Vorstände ohne digitale Berufserfahrung

Die Studie von Prof. Julian Kawohl von der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin und Dr. Jochen Becker vom Think Tank Investment Lab Heilbronn, basiert auf der Analyse von

  • Geschäftsberichten
  • Firmen-Websites
  • LinkedIn- und Xing-Profilen

von 411 Vorständen aus 80 börsennotierten Unternehmen. Eine ganz schön große Fallzahl für eine qualitative Untersuchung – und damit umso valider. Die Ergebnisse sind recht eindeutig: Die große Mehrheit der Vorstände, nämlich 92 Prozent, haben in ihrer Karriere bisher keinerlei praktische Erfahrung mit der digitalen Welt gesammelt. Konkret: Weder waren sie im Management von Digitalunternehmen tätig, noch haben sie dort Aufsichtsratsämter bekleidet. Auch an der Forschung und Entwicklung digitaler Technik waren sie nicht beteiligt. Und: es fehlen Sparringspartner auf Augenhöhe mit Digitalerfahrung, die zu einem kontroversen Ideenaustausch, der fruchtbare Ergebnisse liefert, beitragen könnten.

Hinzu kommt das Durchschnittsalter der Vorstände, das über 52 Jahren liegt. Digital Natives können sie schon deshalb nicht sein. Was also hat es auf sich mit all den Parolen zur Digitalisierung, zur Verjüngung der Vorstände und dem Umbau der Unternehmenskulturen? Ist das alles nur heiße Luft?

Warum sind fast ausschließlich Personen ohne Digitalerfahrung in den Vorständen von Top-Unternehmen, die in den nächsten Jahren die digitale Revolution im eigenen Unternehmen wuppen sollen? Und viel wichtiger: Was muss passieren, damit erstens die Vorstände ihre digitalen Kompetenzen erweitern und zweitens der Umbau zu einer zukunftsfähigen und digitalen deutschen Wirtschaft gelingt?

Auch hier gilt – Diversity is key. So restriktiv sich das männliche Top Management gegen Gender oder LGBTI Diversity abschottet, tut es das offensichtlich auch in der Digital Diversity.

Nicht zu den Glücklichen der Digital Spätgeborenen zu gehören ist das Eine, pure Ignoranz in der eigenen Nutzung das Andere. 66% der 195 DAX Vorstände sind abstinent in Social Media. Dazu hatte ich im Februar 2017 den Beitrag „Das Schweigen der Vorstände“ geschrieben. Bis heute hat sich kaum etwas verändert.

Feigenblätter oder echte Treiber für Digitalisierung?

Tatsächlich gibt es in alteingesessenen Großunternehmen ernsthafte Bemühungen, Innovationen zu pushen, eine digitale Unternehmenskultur zu etablieren und die schwerfälligen Strukturen von Großkonzernen flexibler und agiler zu gestalten. Maßnahmen sind z.B.

  • die Einführung von Innovation Labs
  • digitale Funktionen und neue Rollen wie z.B. CDO’s
  • Learning Journeys zu digitalen Vorreitern (hier können Sie nachlesen, wie eine Learning Journey gelingt)
  • Acceleratoren/Inkubatoren, die beitragen sollen, dass Innovationen entstehen und zur Marktreife gelangen
  • Einführung agilen Arbeitens
  • Digitalisierung und Flexibilisierung von Arbeitsinfrastruktur

Es gibt also ein kognitives Bewusstsein für den Mangel an Erfahrung und Ideen in den Vorständen und es wird auch aktiv versucht, diesen zu beheben. Doch reicht das wirklich aus? Ob die vielen trendy Anglizismen in erster Linie Augenwischerei sind oder tatsächlich positive Effekte haben, lässt sich nur schwer beurteilen. Fakt ist jedenfalls, das zeigt der Monitor Deutschland Digital 2017: In Sachen Digitalisierung sind die deutschen Unternehmen gerade mal mittelmäßig.

„Wir haben in manchen Kinderzimmern mehr digitale Kompetenz als in deutschen Vorstandsetagen oder Aufsichtsräten.“ Stephan Grabmeier 

Was bremst die Digitalisierung der Vorstände aus?

Prof. Kawohl identifizierte durch die zahlreichen Interviews, die die Basis seiner Studie bilden, diese beiden Hauptprobleme:

  1. Traditionelle hierarchische Unternehmensstrukturen gepaart mit Old-Boys-Netzwerken innerhalb der Firmen blockieren Innovationen.
  2. Mangelnde unternehmerische Erfahrung sorgt für fehlende Risikobereitschaft und den richtigen „Riecher“ für Innovationspotenzial.

Auch wenn ich während meiner Karriere keine annähernd so große Fallzahl an Unternehmen und mit ihnen Vorstände auf dem Weg zu digitaler Innovation und modernen Arbeitsformen begleitet habe, so deckt sich der wissenschaftliche Befund in vielen Punkten mit meinen Erfahrungen. Das größte Hindernis für Digitalisierung und ihre Umsetzung im Unternehmen ist die Haltung und individuelle Umsetzung. Wenn die Führungsebene in Sachen Digitalisierung nicht mit gelebtem Beispiel voran geht, wird sich nur wenig ändern. Zu wenig um die Herausforderung in den Märkten proaktiv zu gestalten. Digitale Transformation ist nicht delegierbar und fängt bei jedem Menschen selbst an – ob Vorstand oder Praktikant.

Vorreiter in Sachen Digitalisierung

Dabei gibt es durchaus Positivbeispiele, z.B. den Softwarekonzern SAP, der seit Jahren in Sachen Agile Management als Vorreiter gilt. Auch mein ehemaliger Arbeitgeber, die Deutsche Telekom gehört in Sachen Digitalisierung zu den Vorreitern – weil der Prozess der digitalen Transformation zu einem frühen Zeitpunkt angestoßen und (weitestgehend) konsequent weiterverfolgt wurde. Wie die konkrete Umsetzung dazu aussieht könnt Ihr im Videoblog des Organisationsrebellen Talk#8 sehen. Wenig überraschend, dass ausgerechnet diese  Unternehmen auch in Sachen Diversity weit vorne liegen.

Auch die Deutsche Bank, die mit dem Quartier Zukunft in die digitale Zukunft zu schauen versucht, gehört zu denen, die Digitalisierung scheinbar langsam ernst nehmen, so die Studie von Kawohl und Becker. Dort versucht Mirjam Pütz als Head of Disruptive & Strategic Programs das Kerngeschäft zu digitalisieren und Innovationen zu entwickeln. Mein Organisationsrebellen Talk#2 mit Mirjam zeigt einige der Entwicklungen.

Was Unternehmen tun können und müssen

Auf dem Weg in die digitale Zukunft von Unternehmen sehe ich Maßnahmen wie Learning Journeys, Technologie Hubs, Innovation Labs usw. als Schritt in die richtige Richtung. Denn es zeigt, dass der Wille zur Modernisierung da ist. Alleine das reicht aber noch lange nicht. Zentral ist es einen Behavioral Change einzuleiten, also das Verhalten der Menschen im Unternehmen zu verändern. Und das können nur die Entscheidungsträger in Vorstand und Aufsichtsrat, da nur sie Strukturen so verändern können, dass sich wirklich etwas tut. Wer im Top-Management und in den Vorständen sitzt, muss persönlich zum Treiber der Digitalisierung werden. Das bedeutet, dass Unternehmen

  1. Konsequent auf Diversity setzen müssen. Denn Diversity bringt neue Perspektiven, neue Denkrichtungen und neue Problemlösungsansätze ins Spiel, die wir für ein so komplexes Thema dringend brauchen. Vor allem bedeutet es, dass wir neben mehr Frauen auch jüngere Vorstände, Querdenker und digitale Experten brauchen.
  2. Reverse Mentoring nutzen sollten, so dass die Möglichkeiten der Digitalisierung von den Digital Natives an die Digital Immigrants kommuniziert werden können.
  3. Eine Fehlerkultur entstehen lassen, die Scheitern nicht bestraft, sondern es als Kollateralschaden auf dem Weg zur genialen Erfindung begreift. Wer Innovationen wagt, der fällt damit oft auf die Nase. Und das ist gut so. Frühe Fehler kosten weniger Geld und schaffen schnellere Innovationen.
  4. Jeder Mitarbeiter vom Vorstand zum Praktikant selbst neu (er-)lernen muss. Reines Delegieren reicht nicht. Wie will jemand seine Company in Software, Digitaltechnologie, Bitcoin, AI, VR, AR oder Robotik entwickeln, der keine Ahnung hat, wie das funktioniert? Coden und Technologiekurse sind Mittel zum Begreifen und Lernen.
  5. ein integriertes organisationales Betriebssystem entwickeln müssen. Labs oder CDO’s sind nur eine Zwischenstufe, kommend von einem niedrigen digitalen Reifegrad. Digital reife Unternehmen haben keine CDO’s sondern eine digitale Organisation.
  6. demokratischer und agiler werden müssen. Mitarbeiter müssen mehr selbst bestimmen können, wo, wie und mit wem sie arbeiten – so kann jeder seine Fähigkeiten in einer Weise einbringen, die für ihn passt und für das Unternehmen produktiver ist.

Es sind nur sechs Punkte, aber die haben es in sich. Darüber auf Power Point Folien zu reden ist einfach. Sie im Unternehmen nachhaltig zu implementieren ist ein hartes Stück Arbeit. Es wird aber dazu führen, dass Vorstände und Aufsichtsräte bunter, diverser, zukunftsorientierter und digitaler werden. Dass Mitarbeiter zufriedener sind, weil sie sich mit dem Unternehmen besser identifizieren und sich entfalten können. Das wird auch im Erfolg der Unternehmen zu Buche schlagen.

Wenn zukünftig in deutschen Vorständen und Aufsichtsräten mehr digitale Kompetenz als in manchen Kinderzimmern vorhanden sein soll, dann gilt es jetzt damit zu starten. Und zwar jeder bei sich selbst. Gutes Gelingen.

Quelle Titelbild: oneinchpunch – Fotolia.com

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