Vor wenigen Tagen hat die Bundesregierung im Digitalkabinett eine Strategie für Künstliche Intelligenz beschlossen. Wie weit wir in der Ausrichtung zu KI hinterher sind, zeigt sich immer deutlicher – sei es bei den Investitionen, in der Forschung oder der Expertenlücke. Manche sprechen von dem Drei-Milliarden-Paket der Bundesregierung als „Digitale Peanuts“. Im Rahmen der KI-Dialoge durfte ich bei den Petersberger Gesprächen mit Prof. Schwertfeger sprechen. Sören Schwertfeger forscht an der neu gegründeten ShanghaiTech University über Robotik und Künstliche Intelligenz. China hat hehre Ziele, was die Entwicklung Künstlicher Intelligenz angeht: Bis 2030 will das Land Weltmarktführer werden und sorgt daher durch staatliche Eingriffe für die Entwicklung einer innovationsgetriebenen Wirtschaft. Schon bei den Petersberger Gesprächen war ich fasziniert von seinen Ausführungen.
„Chinas enormes Wirtschaftswachstum ruft Ängste hervor“
Stephan Grabmeier: Herr Prof. Schwertfeger, sie haben sowohl in den USA als auch in Europa und nun in China in den Bereichen Robotik und KI geforscht. Wo sind die Arbeitsbedingungen am besten?
Sören Schwertfeger: Da muss ich erst einmal zwischen der industriellen und der universitären Forschung unterscheiden. Im Silicon Valley bei Alphabet oder bei Amazon findet man sicher ideale Bedingungen, wenn man ein anspruchsvolles Projekt verfolgt – sofern man die entsprechende Unterstützung bekommt.
Allerdings sind in der Wirtschaft natürlich bei den meisten Projekten möglichst schnell unternehmerische Gewinne gefordert, so dass auch solch große Unternehmen ihre Pläne schon mal drastisch ändern. Alphabet verkaufte z. B. 2017 seine Robotik Firmen (Boston Dynamics, Schaft) an die Japanische Softbank Gruppe. Insofern bietet das universitäre Umfeld größere Freiheiten, sich mit seinen eigenen Gebieten ausgiebig zu beschäftigen. Gerade in der teuren Robotikforschung ist man aber auch hier sehr auf Drittmittelprojekte angewiesen.
China investiert viel in Forschung und auch in neue Universitäten. Ausländische Wissenschaftler aller Level sind hier willkommen. Insbesondere wirtschaftlich interessante Gebiete wie Robotik und KI werden stark gefördert, so dass Forscher auch am Anfang ihrer Karriere Zugriff auf teure Hardware bekommen können. So habe ich als Assistant Professor an der ShanghaiTech University ein exzellent ausgestattetes Labor einrichten können – das wäre mir in einer vergleichbaren Anstellung in der USA oder Europa nicht möglich gewesen. Im Vergleich zu etablierten Professoren in Europa oder den USA, die entsprechende Erfolge in der Drittmitteleinwerbung haben, nivellieren sich solche chinesischen Vorteile aber wieder etwas. Auch wenn in China viel Geld für Forschungsprojekte bereitgestellt wird, muss man auch bedenken, dass es bei über 2900 Universitäten dann trotzdem nicht leicht ist, bei Forschungsanträgen erfolgreich zu sein. Die Erfolgsrate bei der „National Science Foundation China (NSFC)“ liegt bei zehn Prozent. Die Förderung geht häufig an die etablierten Forschungsuniversitäten mit gut vernetzten Professoren. Als ausländischer Wissenschaftler ist die Arbeit in China sicherlich herausfordernder als im Ausland in Europa oder der USA zu arbeiten, schon aufgrund der Sprachbarriere.
China galt noch vor ein paar Jahren vor allem als Copyshop westlicher Technologien. Heute ist das Land selbst ein wichtiger Player, was technologische Innovationen angeht. Haben Europa und die USA China zu lange unterschätzt?
Das enorme Wirtschaftswachstum Chinas hat ja schon länger auch Ängste in Europa hervorgerufen. Früher wurden solche Ängste auf Japan projiziert, heute ist es China. Die Entwicklung in China wird vorangehen, so dass das Land einen sehr starken Platz in der Welt einnehmen wird. Mit den aufkommenden Hochtechnologien wie KI sieht China eine Chance, von Anfang an eine führende Rolle zu spielen und fördert diese Bereiche dementsprechend stark. China wird seine wirtschaftlichen Interessen robust verteidigen. Insofern wäre es empfehlenswert, die Partnerschaft zwischen der USA und Europa wieder zu stärken, um ein besseres Gleichgewicht erzielen zu können.
„Europa muss stärker in die Zukunft investieren“
Bis 2030 will China Weltmarktführer im Bereich Künstliche Intelligenz werden. Im „New Generation Artificial Intelligence Development Plan” werden verschiedene Instrumente geschildert, die dazu beitragen sollen, dieses Ziel zu erreichen. Wie bewerten Sie diese Instrumente?
Der New Generation Artificial Intelligence Development Plan beinhaltet viele verschiedene Instrumente, von denen viele dann auch erst auf dem Provinz-Level implementiert werden müssen, wie die Wirtschaftsförderung. Dabei werden sowohl große etablierte Firmen als auch Startups unterstützt. China hat einige Vorteile im Bezug auf die KI Entwicklung: Es gibt viele Daten von den 800 Millionen Internetnutzern, ebenso viele potentielle Kunden und eine Gesetzgebung, die die Firmen erst einmal nicht einschränkt und erst spät reguliert (Detaillierte Informationen dazu finden Sie auch im Interview mit Prof. Markus Taube über die chinesische Innovationspolitik).
Eine bedeutende Komponente des Plans ist die Wissenschaftsförderung, die mit entsprechend ausgeschriebenen Projekten sicher einige gute Ergebnisse liefern wird. Wichtig sind dabei natürlich auch die Studenten, die an diesen Projekten gearbeitet haben und dann als KI-Experten der Wirtschaft zur Verfügung stehen. Ob China mit diesen Maßnahmen bis 2030 tatsächlich Weltmarkführer in der KI werden wird, ist aber schwer einzuschätzen.
Deutschland hat, wohl auch in Reaktion auf diesen Entwicklungsplan, kürzlich einen Masterplan KI verabschiedet, um auf dem Gebiet der KI wettbewerbsfähig zu werden. Denken Sie, das gelingt mit diesem Plan der den chinesischen Maßnahmen weit hinterherhinkt?
Die Tatsache, dass der Bundesregierung dieses Themas bewusst ist und sie ein solches Strategiepapier verfasst, ist ausgezeichnet. Die dort formulierten Ziele und Handlungsfelder lesen sich sehr gut. Deutschland hat gute Voraussetzungen, gute Universitäten, industrienahe Forschungsinstitute, Rechtssicherheit und eine sich entwickelnde Startupszene. Letztendlich hängt der Erfolg des Masterplans von der konkreten Ausgestaltung und Umsetzung der Maßnahmen ab. Gerade auch im Bereich Bildung und Forschung sollte wirklich viel Geld in die Hand genommen werden, um sowohl große Projekte als auch vielfältige kleinere Forschungsvorhaben zu fördern. Deutschland ist reich – damit das so bleibt, muss ein größerer Teil des Bruttosozialprodukts in die Zukunft investiert werden – in zukunftsträchtige Technologien wie die KI.
Sie arbeiten an der nächsten Generation von chinesischen Universitäten, mit enormer Kapitalausstattung, perfekten Professoren/Studenten Quoten und Rahmenbedingungen, die kaum woanders vorhanden sind. Zieht China auch in der Bildung mittelfristig an uns vorbei?
Für Studenten ist ein gutes Betreuungsverhältnis sicher vorteilhaft. Solche Zahlen sind aber nur schwer direkt zu vergleichen: In Deutschland gibt es dafür einen größeren Akademischen Mittelbau, wo PostDocs viel Lehre übernehmen. Andererseits ist für die Forschung der Professoren solch eine geringe Anzahl von Studenten oft auch nicht ideal: in entwicklungsintensiven Feldern wie z.B. der Robotik werden für größere Projekte mehr erfahrene Entwickler gebraucht.
Studenten in China haben viele Pflichtfächer, wie z.B. „Ausgewählte Werke des Marxismus“, „Einführung in die Chinesische Zivilisation“, „Moderne Chinesische Literatur“, Englisch oder Sport (vier Semester) – zwei bis drei Kurse pro Semester, während sich deutsche Studenten von Anfang an auf ihr Fach konzentrieren können. Dafür sind chinesische Studenten im Durchschnitt ehrgeiziger und arbeiten viel intensiver für einen guten Abschluss. Denn dieser bestimmt entscheidend mit, wie gut die spätere Anstellung und somit die finanzielle Sicherheit für ein gutes Leben sein wird.
Chinas Spitzenunis sind sicher sehr gut. Die besten Studenten aus ganz China konzentrieren sich dort, es gibt gute Lehre und interessante Forschungsprojekte. Die Top-Studenten gehen allerdings meist ins Ausland – primär in die USA. Wenn das nicht klappt aber auch gerne nach Europa. Verglichen mit dem Durchschnitt der 2900 Universitäten in China wird Deutschland trotzdem noch einige Zeit weit bessere Bedingungen bieten.
„China ist schon heute ein Überwachungsstaat“
Durch das System des Staatskapitalismus kann China weitaus schneller auf Veränderungen reagieren und Ressourcen viel freier verteilen als die westlichen Demokratien, in denen Entscheidungen häufig langwierige Prozesse durchlaufen müssen. China ist ein autoritäres System. Finden Sie es nicht bedenklich, dass gerade dieses Land so viele Ressourcen in KI steckt – eine Technologie, die potenziell dazu geeignet ist, Menschen ihrer Autonomie zu berauben?
Sie sprechen zwei verschiedene Aspekte an: die agile Reaktion auf aktuelle technologische Entwicklungen als auch die Überwachung mittels KI.
Die technologische Entwicklung scheint stetig an Geschwindigkeit zuzunehmen. Dies stellt Regierungen weltweit vor Herausforderungen, schnell die Gesetzgebung und Rahmenbedingungen entsprechend anzupassen um einerseits Rechtssicherheit zu schaffen und andererseits der Gesellschaft und der Wirtschaft die Möglichkeit zu geben, diese Technologien bestmöglich einzusetzen.
Die starke Staatsmacht in China kann schnell auf aktuelle Entwicklungen reagieren und unterstützt die heimische Wirtschaft mittels vielfältiger Mittel. Dass die demokratischen Prozesse in Deutschland (Gesetzgebung, Interessenausgleich durch Gerichte) länger dauern, liegt in der Natur der Sache. Die Bürger und Volksvertreter in Deutschland und der EU sollten für solche Themen stärker sensibilisiert werden um schneller und besser entscheiden zu können, anstatt sich immer nur mit einem eher sekundären Thema zu beschäftigen. Themen wie Breitbandausbau oder das Leistungsschutzrecht beispielsweise sind meiner Meinung nach in der Vergangenheit nicht gut gelöst worden. Des Weiteren sollte vom Staat mehr in Bildung und Forschung investiert werden, auch um mit China Schritt zu halten.
Sie haben die Entwicklung der KI im autoritären China angesprochen. Es ist klar: China ist schon jetzt ein Überwachungsstaat. Die Internetkommunikation wird mitgeschnitten und beschränkt. Die Bewegung der Bevölkerung wird registriert (Bahn- und Flugtickets, Kameras auf den Straßen), um nur zwei Beispiele zu nennen. Eine neue, von der Regierung forcierte Entwicklung ist das Sozialkredit-System, bei dem Daten verschiedenster staatlicher und kommerzieller Stellen zusammengeführt werden sollen, um dann z.B. Personen mit schlechter Wertung Zug- und Flugtickets zu verwehren – was bereits gängige Praxis ist. Technologien wie die KI spielen bei solchen und anderen Überwachungsprojekten natürlich eine wichtige Rolle. Dies sollte allen Demokratien als abschreckendes Beispiel dienen. Deutschland und die EU müssen in der gesellschaftlichen Diskussion genau abwägen, wie und wo KI im staatlichen und kommerziellen Bereich eingesetzt werden soll. Die Europäische Datenschutz-Grundverordnung ist meiner Meinung nach ein wichtiger Schritt. Etwas Vergleichbares gibt es in China nicht.
Zu versuchen, die Entwicklung von KI zu stoppen oder zu verlangsamen, weil diese für Überwachungszwecke eingesetzt werden kann, ist illusorisch, unter anderem auch wegen dem enormen wirtschaftlichen Potenzial der KI. Wir können nur hoffen, dass sich in Zukunft die freiheitlichen Rechte in China mehr dem westlichen Demokratieverständnis annähern. Diese gesellschaftliche Anpassung muss hauptsächlich aus China selbst heraus geschehen.
Herr Professor Schwertfeger, vielen Dank für die interessanten Einblicke in Chinas Forschungs- und Universitätslandschaft.
Über Prof. Sören Schwertfeger
Sören Schwertfeger ist seit 2014 Assistant Professor an der ShanghaiTech University in China. Dort lehrt er Informatik und Robotik und forscht zu autonomer, mobiler Robotik, mobiler Manipulation, Such- und Rettungsrobotik, Kartenerstellung für Roboter und KI. Sören Schwertfeger kann auf Forschungsaufenthalte in den USA, unter anderem in Berkeley, zurückblicken, organisiert internationale Wissenschaftssymposien und ist Mitherausgeber des IEEE Robotics und Automation Magazine.
Quelle Titelbild: © Sören Schwertfeger