Wir denken, dass wir rationale, aufgeklärte Menschen sind, die jedem die gleiche Chance geben. Das ist nicht so, wie Psychologen, Wirtschaftswissenschaftler, Soziologen und Verhaltensforscher seit Jahren wissen. Stattdessen beeinflussen unbewusste Einstellungen und Vorurteile unsere Entscheidungen. Das hat starke Auswirkungen auf Unternehmen, Führung aber auch auf benachteiligte Gruppen. Diese Thema beschäftigt mich sehr. In meinem Post möchte ich Euch ein paar „klassische“ unbewusste Einstellungen (unconscious biases) aufzeigen und deutlich machen, warum wir unsere Vorurteile zugunsten der ganzen Gesellschaft überwinden müssen.
#Verteidigungsministerin: Frauen an den Krisenherd
Als Ursula von der Leyen die erste Verteidigungsministerin der Bundesrepublik wurde, lauteten die Tweets zum Hashtag #Verteidigungsministerin zum Beispiel: „Frauen an den Krisenherd“. Der letzte männliche Familienminister hieß dagegen Heiner Geißler und war von 1982 bis 1985 im Dienst. Seitdem waren nur Ministerinnen für das „Gedöns“ zuständig. Die Berufung von Christiane Brenner in den Vorstand der „Männer-Gewerkschaft“ IG Metall war in der vergangenen Woche Schlagzeilen wert. Schließlich ist sie die erste Frau in der Führungsriege der IG Metall überhaupt.
Nur 36 der insgesamt 667 Vorstandsposten in deutschen börsennotierten Konzernen sind mit Frauen besetzt. Das entspricht einem Anteil von 5,4 Prozent. Unterm Strich sind diese Unternehmen also auch heute noch männliche Monokulturen.
Wie kommt es, dass wir in unserer vermeintlich gleichberechtigten Gesellschaft noch immer bestimmten Personengruppen bestimmte Kompetenzen zuschreiben oder aberkennen? Wie beeinflussen unbewusste Einstellungen unsere Entscheidungen? Und welche Auswirkungen hat das auf moderne Unternehmensführung und die Gesellschaft im Allgemeinen?
Diskriminierung ist Alltag
Es ist fatal aber das Thema „Frauen in Führungspositionen“ ist ja schon fast ein Klassiker, wenn es um Vorurteile und unbewusste Einstellungen geht. Dabei sind Frauen nicht die einzigen, die im Testosteron dominierten Geschäftsleben nur einseitig ernst genommen werden. Auch Migranten werden nach wie vor diskriminiert. Wenn sich Ahmed Öztürk auf eine Stelle bewirbt, dann bekommt er weit seltener eine Zusage als Martin Müller – bzw. er muss schon sehr viel besser sein, um in einem Auswahlverfahren zu punkten. Die wenigsten würden aber, wenn man sie direkt danach fragen würde, zugeben, dass sie etwas gegen Ausländer haben. Der Großteil der Menschen ist der Auffassung, weltoffen zu sein und niemanden zu diskriminieren. „Allein die Kompetenz, nicht Geschlecht / Herkunft / Religionszugehörigkeit / Alter etc. zählen“, lautet das Credo. Nur: Fakten und Zahlen sprechen eine eindeutig andere Sprache. Woran liegt das?
„Ich bin schwul – und das ist auch gut so!“
Laut einer empirischen Studie der Uni Karlsruhe in Zusammenarbeit mit der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, bei der 400 homosexuelle Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen befragt wurden, verheimlicht zwar nur ein geringer Prozentsatz seine sexuelle Orientierung am Arbeitsplatz. 23 Prozent der Befragten allerdings gaben an, wegen ihrer Homosexualität schlechtere Karrierechancen zu haben. Und 42 Prozent gaben an, an irgendeiner Form von Diskriminierung – z.B. Mobbing – zu leiden.
Politiker wie Klaus Wowereit, Guido Westerwelle und Ole von Beust, die sich offen als schwul geoutet haben, haben einen wichtigen Beitrag zur Wahrnehmung von Homosexualität in der Öffentlichkeit und zum Kampf gegen unbewusste Einstellungen und Vorurteile geleistet. Aber wie ist es um die Führungskultur in deutschen Konzernen bestellt? Mir kein deutscher Vorstandschef bekannt, der sich offen zu seiner Homosexualität bekennt. Auch der ehemalige DAX-Vorstand Thomas Sattelberger, einer der deutschen Protagonisten für Diversity, für den ich viele Jahre gearbeitet habe, hatte sein Coming out (leider) erst nach seiner Karriere. Unbewusste Einstellungen werden aber auch durch öffentliche Personen und Vorbilder geprägt. Beispiel USA, wo Apple-Chef Tim Cook offen zu seiner Homosexualität steht. Im prüden Amerika ist man mit der liberalen Führungskultur anscheinend schon einen Schritt weiter.
Rationale Entscheidungen? – Von wegen.
Vor allem im Geschäftsleben und im Berufsalltag denken wir, dass alle unsere Entscheidungen rational sind. Dass das nicht so ist, wissen wir aber längst aus der Verhaltensökonomie, der Soziologie und den Wirtschaftswissenschaften, wie ich auch in meinem Beitrag über die habgierigen Manager und Banker gezeigt habe. Denn rationale Entscheidungen fällen wir eigentlich nie. Stattdessen sind es viele unbewusste Einstellungen, englisch Cognitive Biases, die uns so handeln lassen, wie wir handeln. Ein paar davon, die für die oben geschilderten Phänomene maßgeblich mitverantwortlich sind, möchte ich kurz vorstellen:
- Der Confirmation Bias: Wir alle haben bestimmte Vorstellungen von der Welt, die wir durch Erziehung, Sozialisation und Erfahrungen im Laufe des Lebens erlernen. Wenn neue Erkenntnisse oder Erfahrungen nicht in dieses Weltbild passen, dann blenden wir sie einfach aus. Psychologen nennen das auch „selektive Wahrnehmung“. Wenn also in der Geschäftswelt kaum weibliche Rollenvorbilder präsent sind und Migranten nicht in Führungspositionen kommen, dann beeinflusst das unsere Vorstellung von der Welt – und es verfestigen sich unbewusste Einstellungen, dass diese Gruppen in solchen Positionen eben nichts zu suchen haben.
- Der Conservatism Bias: Er geht in eine ähnliche Richtung wie der Confirmation Bias. Jahrelang tradierte Rollenmodelle – wie z.B. das Frauen für Haus und Kinder zuständig sind – haben sich in unseren Köpfen verfestigt und werden von Generation zu Generation weitergegeben. Nur durch neue Erfahrungen und mit viel Zeit kann dieser Konservatismus aufgebrochen werden und neue Verhaltensmuster können sich etablieren.
- Stereotype: Evolutionsgeschichtlich waren Stereotype sicherlich sinnvoll. So können wir Menschen schnell in eine Schublade einsortieren: Freund oder Feind? Kompetent oder inkompetent? Nur schlecht, dass diese Stereotype sich meist auf Personengruppen beziehen, denen wir bestimmte Merkmale zuordnen. Es handelt sich dabei um Diskriminierung erster Güte.
- Der Blind Spot Bias: Er sorgt dafür, dass wir für uns selbst unbewusste Einstellungen leugnen. „Nein, ich bin kein Rassist / Sexist“, denken wir und fühlen uns richtig gut dabei. Das Problem an der Sache: Jeder hat unbewusste Einstellungen, die sein Handeln und Verhalten beeinflussen. Die Lösung: Das Bewusstmachen dieser Vorurteile. Nur so besteht die Chance, sie zu widerlegen.
Diversity –und zwar schnell!
Unbewusste Einstellungen und Vorurteile rauben nicht nur Menschen Chancen. Unbewusste Einstellungen rauben auch Unternehmen Ressourcen und der Wirtschaft Potenzial. Tradierte, engstirnig formierte Monokulturen verhindern eine Entwicklung von Unternehmen und der Gesellschaft zum Besseren. Das Schlimme ist ja, dass benachteiligte Gruppen die Stereotype sogar übernehmen und sich selbst als nicht kompetent genug für bestimmte Aufgaben wahrnehmen – allen voran die gut ausgebildeten Frauen, die häufiger studieren und bessere Noten haben als Männer. Dabei zeigen Studien, dass Unternehmen, die stringent auf Diversity Management setzen, erfolgreicher am Markt sind als die, die es nicht tun.
- Employer Branding: Frauen studieren häufiger als Männer und sie haben bessere Abschlüsse. Auch Migranten der zweiten und dritten Generation sind längst in den deutschen Universitäten angekommen. Unterschiedliche religiöse Zugehörigkeiten oder sexuelle LGBT-Ausrichtungen – all das sind wichtige Facetten einer modernen Gesellschaft. Diese Talente müssen Unternehmen ansprechen und gewinnen, wenn sie weiter wettbewerbsfähig bleiben und nicht in einer Monokultur von weißen deutschen Männern versauern wollen.
- Diversity Management sorgt für eine offene Unternehmenskultur, die flexibel auf Veränderungen reagiert und ist eine wichtige Voraussetzung im Innovationsmanagement. Denn Innovation im Konsens ist Nonsens. Nur durch Vielfalt entsteht Neues.
- Mitarbeiter mit unterschiedlichen (Lebens-)Erfahrungen und unterschiedlicher Herkunft bringen verschiedene – und vor allen Dingen vielfältige – Perspektiven ins Unternehmen. Das ist gut für Kreativität und Innovation.
Unbewusste Einstellungen bewusst machen
Man muss unbewusste Einstellungen, Vorurteile, Mauern in den Köpfen und gläserne Decken auf breiter Front bekämpfen – zum Wohle jedes/r Einzelnen und der gesamten Gesellschaft! Die Unternehmenslenker müssen aufwachen und allen Gruppen der Bevölkerung die gleichen Aufstiegschancen bieten. Die Politik sehe ich nur begrenzt in der Lage, hier etwas aktiv zu verändern. Die richtigen Rahmenbedingungen wurden mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungs-Gesetz (AGG) geschaffen.
Auch die Maßnahmen zur Frauenförderung haben schon viel bewirkt. So müssen ab 2016 große, börsennotierte Unternehmen mindestens 30 Prozent der Posten in Aufsichtsräten mit Frauen besetzen. Ende 2014 betrug der Anteil gerade mal 18,4 Prozent. Die 108 Unternehmen, die von dem Gesetz faktisch betroffen sind, sind nun also tatsächlich dazu gezwungen, Frauen auch wirtschaftliche Macht zu geben.
Wo Frauen schon viel gekämpft haben, stehen LGBT noch am Anfang. Erst seit 1994 (!) ist Homosexualität nicht mehr strafbar. Gerade haben sie erste Erfolge errungen, was die Gleichstellung im Privaten betrifft – unter Kanzler Schröder wurde die so genannte Homo-Ehe eingeführt, beim Erb- und Adoptionsrecht tut sich etwas, wenn auch noch längst nicht genug.
Einstellungen lassen sich durch Gesetze aber nur bis zu einem gewissen Grad beeinflussen. Wir brauchen die ständige Präsenz dieser Thematik, das Bewusstmachen der Stereotype und das Bohren in den Wunden – nur so können wir dafür sorgen, dass sich tradierte Rollenmodelle irgendwann auch verändern. Lasst uns die guten Rollenmodelle, die es heute schon gibt, weiter stärken, neue finden und dafür kämpfen, die Welt durch unsere Haltung und Diversity ein Stücken besser zu machen.
Jeder kann übrigens mal seine impliziten Einstellungen checken: mit dem Implizite-Assoziations-Test (IAT). Die Seite wird von Wissenschaftlern der Humboldt-Universität in Berlin betreut. Das könnte für den einen oder die andere vllt. eine „Erleuchtung“ werden 😉 ->http://implicit.harvard.edu/implicit/germany/index.jsp
Viel Spaß und Erkenntnisse wünsche ich!
Thomas Webers