Wie oft ist es Ihnen in den vergangenen Wochen schon passiert, dass Sie in Diskussionsrunden oder einem Meeting saßen, gedacht haben, jeder Teilnehmer versteht das Gleiche und am Ende ging doch jeder mit einer anderen Vorstellung raus. Auch im anschließenden Protokoll war es anders dokumentiert, als Sie dachten, dass es sein sollte. Bei der Entwicklung neuer Geschäftsmodellen oder dem Scoping von Projekten erlebt man in Brainstormings ähnlich Gegebenheiten.
Jeder weiß, wie wichtig eine klare Definition von Themen und gemeinsame Denkgrundlage ist. Nur so wird Arbeit produktiv. Was Sie nicht zu Beginn klären, holt Sie im späteren Projektverlauf ein – da können Sie sicher sein. Visual Thinking kann dabei Abhilfe schaffen, um eine gemeinschaftliche Basis für den weiteren Prozess abzubilden. Der Begriff ist seit langem en vogue und wird Business-Kontext immer mehr diskutiert. Ich setze Visual Thinking seit vielen Jahren ein und es ist bei vielen Projekten, Events, Workshops oder Meetings ein wichtiger Begleiter.
Um ein im Sinne des Wortes anschauliches Verständnis zu Visual Thinking zu bekommen, habe ich das Thema in folgendem Blogbeitrag beschrieben.
Visual Thinking ist die graphische Übersetzung von komplexen Sachverhalten
Visual Thinking, in deutsch „Visuelles Denken“, ist eine in der Praxis bewährte Methode, Informationen, Ideen, Gedanken und Sachverhalte, die in Meetings, Workshops und Gesprächen diskutiert werden, in bildlicher Form zu strukturieren und zu kommunizieren, um eine einheitliche Verständnisbasis unter den Beteiligten aufzubauen. Dadurch werden diese transparent(er), greifbar(er) und für alle verständlicher, gerade in komplexen und verwirrenden Situationen. Es werden Zusammenhänge leichter sichtbar, Unterschiede sowie Gemeinsamkeiten aufgedeckt, das jeweilige Thema klarer und somit für alle nachvollziehbarer. Die Visualisierung erfolgt mit dem Einsatz von Stiften, Papier, Karteikarten, Software-Tools et cetera.
Alles nicht neu! Die Anfänge von Visual Thinking kommen aus USA und gehen zurück bis Ende der 60iger Jahre. Der deutsch-US-amerikanische Psychologe und Professor für Kunstpsychologie an der Harvard University Rudolf Arnheim, einer der Urväter des Visual Thinking, hat 1968 das Buch „Visual Thinking“ veröffentlicht. Darin begründet er „anschauliches Denken“ als die Basis für das heutige Visual Thinking. Das Fundament basiert auf der Formel: Wahrnehmen = Denken = Gestalten.
Wahrnehmen = Denken = Gestalten
Unsere Wahrnehmung erfolgt durch den Fokus auf das Wesentliche und die ganzheitliche Eigenschaft. Wir erkennen sofort ein Auto, ohne die Details erst zusammensetzen zu müssen. Wahrnehmen ist für uns anschauliches Denken. Und wenn wir an etwas denken, erfolgt dies immer mit Hilfe von Vorstellungsbildern und Wahrnehmungsbegriffen, die wir bereits kennen, selbst wenn wir diese nicht physisch vor Augen haben. Sie sind oft vage und schemenhaft in unserem Kopf verankert. Dazu brauchen wir keine Worte, Bilder reichen uns hier aus. Wenn wir auf dieser Weise gestalten, ist dies Denken mit den Händen, in dem wir unsere Vorstellung auf Papier bringen. Dies nennt man „anschauliches Denken ohne Worte“. Erst durch die Visualisierung bekommen wir eine konkrete Vorstellung für das Gedachte.
Angewendet auf den geschäftlichen Kontext bedeutet dies, dass das anschauliches Denken in Workshops und Meetings besprochene Inhalte für alle greifbarer und verständlicher macht. Visualisierungen ermöglichen es, das Wesentliche zu erfassen und bildlich zu dokumentieren, um ein gemeinsames Verständnis zu schaffen.
Design Thinking versus Visual Thinking
Die beiden Begrifflichkeiten Visual Thinking und Design Thinking werden heute noch teilweise missbräuchlich verwendet. Design Thinking ist in Stanford entstanden und ein von der Innovationsagentur IDEO entwickelter Prozess zur Förderung kreativer Ideen und Problemlösungsansätzen. Als iterativer Prozess dient diese Methode sehr gut dazu, Ideen zu Geschäftsmodellen und Produkten schnell zu entwickeln, als Prototypen auf den Markt zu bringen und dann anhand von Kundenrückmeldungen zu optimieren und zur Marktreife zu führen, vergleichbar zu der Lean Startup Methode.
Der Design Thinking Prozess besteht aus sechs Schritten:
- Verstehen – Verständnis für das Problem und die Herausforderung(en) aufbauen
- Beobachten – Wichtige Einsichten und Erkenntnisse gewinnen
- Point-of-View – Bedürfnisse der Nutzer und Kunden definieren
- Ideenfindung – Entwicklung von unterschiedlichen Lösungsansätzen
- Prototyping – Aufsetzen von Prototypen zur Kundenevaluation
- Verfeinerung – Weiterentwicklung und Optimierung
Hierbei ist es wichtig, dass die Kreativität gefördert wird und mögliche Hürden überwunden werden, um ein optimales Ergebnis zu erzielen.
Visual Thinking wird häufig im Design Thinking Prozess eingesetzt. Beide Ansätze ergänzen sich ideal und unterstützen dabei, sehr gute Problemlösungsansätze zu finden und zu entwickeln.
Zwei sich ergänzende Ansätze
Durch die sinnvolle Kombination von Design Thinking, Visual Thinking und je nach Bedarf weiteren agilen Ansätzen wird das menschliche Denken und Handeln sowie die Klarheit in den Fokus gerückt. Komplexe Gegebenheiten werden in diesem Prozess heruntergebrochen und vereinfacht. Ein fundamentaler Unterschied zu normativen und mechanistischen Managementmethoden.
Wir bei Haufe-umantis AG lassen unsere jährlich stattfindende Strategieentwicklung, die wir mit allen rund 150 Mitarbeitern zu Beginn des Jahres an zwei Tagen machen, durch ein visuelles Protokoll zeichnen. In unseren Büros finden Sie diese Visualisierung, damit jeder, egal ob Mitarbeiter, Kunden oder Besucher, auf einem Blick die Bausteine und Schwerpunkte unseres Unternehmens in einem Bild sehen kann. Auch so erklären wir unseren Kunden mit einem Bild, das was wir tun.
Mit Graphic Recording visuelle Protokolle erstellen
Aus dem Visual Thinking abgeleitet, findet das Graphic Recording, auch Visual Facilitation oder Visual Recording genannt, einen sehr großen Anklang. Es ist ein Art Simultanprotokoll, welches parallel zu Präsentationen, Diskussionen, Vorträgen et cetera erstellt wird und das gesprochene Wort in Zeichnungen wiederspiegelt. Dabei werden die Aussagen graphisch aufgenommen, wichtiges zeichnerisch hervorgehoben und Zusammenhänge bildlich dargestellt.
Dem Recorder kommt in diesem Dokumentations- und Verständlichmachungsprozess eine besondere Bedeutung zu. Er hört zu, beobachtet, frägt nach, steht im Dialog mit der Gruppe und dokumentiert das Gesagte. Ich finde diese Fähigkeit faszinierend. Alles beginnt auf einer großen leeren weißen Leinwand und es entsteht live. Alles was er wahrnimmt, wie Aussagen, Kommentare, Emotionen und Stimmungen, wird visualisiert. Erst durch diese Interaktion können die Arbeitsergebnisse sauber und nachvollziehbar dokumentiert werden.
Zentrale Elemente im Visual Thinking
In der Umsetzung gibt es einige zentrale Punkte, die es zu beachten gilt:
- Je nach Örtlichkeit und Anforderungen kommen Flipcharts, Zeichentafeln, Papierbahnen, Tablets, Buntstifte, Tools et cetera zum Einsatz.
- Die simultane Visualisierung muss für alle Beteiligten gut sichtbar sein. Daher ist eine gute Planung des Raums und der Sitzordnung im Vorfeld essentiell.
- Um eine erfolgreiche Visualisierung zu gewährleisten, muss vor dem Event eine klare Abstimmung zwischen Moderator und Recorder erfolgen. Auch die Teilnehmer sollten am Beginn der Veranstaltung ein Verständnis für die parallele Bebilderung des gesprochenen Wortes erhalten.
- Das gemeinsam entwickelte Bild – als gemeinsames Verständnis – muss von allen Teilnehmern zum Abschluss abgenommen werden, um eine saubere Basis für die nächsten Aktivitäten zu haben. Der Recorder fasst das Bild in Worten zusammen und erläutert dieses.
- Am Ende der jeweiligen Session wird das Gesamtergebnis dokumentiert, am besten fotografisch, damit es anschließend allen zur Verfügung gestellt wird.
Wichtig ist, dass Sie alle Beteiligten während des gesamten Prozess aktiv mitnehmen und intensiv einbinden. Nur so erhalten Sie erstklassige Visualisierungen. Und übrigens, es geht nicht um schöne Bilder, sondern um aussagekräftige, die den entwickelten Rahmen sauber abbilden.
Zusammenfassend: Visual Thinking bietet viele Vorteile
Der Einsatz von Visual Thinking hat einen hohen Mehrwert, gerade im Business-Kontext. Ich habe nachfolgend die drei wichtigsten Nutzenargumente zusammengefasst:
- Komplexe und trockene Themen werden einfach, nachvollziehbar und für alle verständlich skizziert und dokumentiert. Dadurch entsteht eine gemeinsame Basis über das gesprochene Wort, welches als Bild festgehalten wird.
- Durch den parallelen Entwicklungsprozess des Bildes sind die Beteiligten aufmerksamer, bringen ihre Ideen stärker ein und sind in die Sache aktiv involviert. Dies fördert die Motivation und regt die individuelle Kreativität an.
- Durch die gemeinsame Arbeit und die Bebilderung des Gesagten wird die Erinnerungsleistung erhöht. Das Erreichte bleibt länger im Gedächtnis verankert. Mögliche Fehlinterpretationen werden weitestgehend eliminiert.
Das Besondere am Visual Thinking ist, dass jedes Bild individuell sowie ein einzigartiges, künstlerisches und kreatives Werk ist, womit sich auch die Beteiligten stark damit identifizieren. Solche „Meisterleistungen“ sind Hingucker und werden zugleich als Wanddekoration in Büroräumen genutzt. Dadurch werden die Beteiligten immer wieder – vor allem im Unterbewusstsein – an die entwickelten Themen erinnert und die Verbindlichkeit bleibt nachhaltig.
Fazit: Visual Thinking – schafft einen gemeinsamen Blick
Visual Thinking gehört für mich zu den wichtigen Management-Methoden moderner Leader, um schnell und zielgerichtet Themen zu diskutieren, bildlich zu veranschaulichen und ein gemeinsames Verständnis zu generieren. Es hilft, Zusammenhänge aufzuzeigen und Missverständnisse frühzeitig zu eliminieren – eine Kernaufgabe von Leadership!
Visual Thinking sollte man im Unternehmen im kleinen Rahmen starten, ausprobieren, Sicherheit gewinnen und dann auf weitere Zielgruppen ausrollen. Dabei empfiehlt es sich, externe Unterstützung – Visual Thinker oder Graphic Recorder einzubinden, um von der Erfahrung eines Profis zu lernen. Danach können Sie entscheiden, wie Sie Ihre Mitarbeiter und Führungskräfte trainieren, um die Kommunikation in Ihrem Unternehmen durch Bilder klarer, einfacher und emotionaler zu gestalten. Sie werden merken, es lohnt sich, macht viel Spaß und last but not least, es sieht auch noch gut aus.