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Daniel Osterwalder über Visual Thinking

Visualisierung des gesprochenen Wortes beziehungsweise Visual Thinking gewinnt unter modernen Managementmethoden immer mehr an Bedeutung, vor allem in Innovations- und Veränderungsprozessen. Wie bereits in meinem Beitrag „Visual Thinking – ein Bild sagt mehr als tausend Worte“ herausgestellt, ist Visual Thinking eine bewährte Methode, Informationen in Meetings und Workshops bildlich zu strukturieren und zu kommunizieren. Um das Thema mit einem Experten zu vertiefen, habe ich dazu ein Gespräch mit meinem langjährigen und geschätzten Weggefährten Daniel Osterwalder, Geschäftsführer der visualdynamics, geführt. Daniel und ich haben uns vor Jahren am Hasso Plattner Institut bei einer Design Thinking Ausbildung kennen gelernt. Er ist ein enger Partner von mir bei Haufe-umantis. Erst vor kurzem haben wir bei der Swisscom, einem unserer großen Schweizer Kunden in einem gemeinsamen Projekt für die Next Generation HR gearbeitet.

Visualisierung schafft durch kräftige Bilder neue Einblicke in Organisationen und Unternehmen

Daniel, Du bist Facilitator und begleitest Veränderungsprojekte in Unternehmen und Non-Profit-Organisationen. Dabei setzt Du unter anderem auf die Kraft der Visualisierung. Wie kamst Du zu diesem Thema und was fasziniert Dich daran?

Ich habe bereits vor rund 20 Jahren als Tutor an der Uni Bern verschiedene Kreativitätsmethoden eingesetzt, die damals ziemlich unverbunden nebeneinander standen, ganz ohne Kontext und Modell, wie wir es heute beispielsweise beim Design Thinking kennen: Methoden, in Zusammenhang mit einem Modell und Verlauf. Weil ich sehr gerne zeichnete, setze ich Mindmaps ein, die ich dann auch auf recht großen Papierbahnen zusammen mit den Studierenden entwickelte.

Vor sechs Jahren fand ich dann zufällig einen kleinen Aufbaukurs zum Thema Visualisieren. Nach diesem Kurs habe ich sehr rasch das Dargebotene an ein stimmiges didaktisches Konzept angepasst und die graphischen Elemente auch so aufgebaut, wie ich sie einsetze. Wobei letzteres ein steter Prozess ist. Bei den Trainings arbeite ich jedoch ziemlich anders als viele Kollegen/innen, weil wir zu zweit uns mal die Mühe gemacht haben, die verschiedenen Skills und Fertigkeiten nach Wissens- und Könnensstufen aufzudröseln. Wir haben also klassisch ein didaktisches Modell entwickelt, das dem Grundsatz folgt: Sieh selbst. Mach es. Jetzt. Natürlich zeigen wir auch bestimmte Dinge, die dann von den Teilnehmenden nachgemacht werden. Wir motivieren aber sehr für den jeweils eigenen Style.

Was verstehst Du unter Visual Thinking und für welche Situationen eignet sich diese Methode besonders gut?

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Visual Basics (Bild: © Daniel Osterwalder)

Visual Thinking ist nichts anderes als bildlich denken, die Vorstellungskraft zu aktivieren und sich Dinge, Gegenstände, Bewegungen und Verläufe blind vorzustellen beziehungsweise über diesen Prozess zu merken. Je mehr wir dies trainieren, desto besser können wir etwas auch darstellen – physisch in Form eines Modells oder eben als Visualisierung respektive Skizze. Und je intensiver wir dies trainieren, desto besser können wir uns bestimmte Dinge auch merken.

Gerade Memotechniken arbeiten ja sehr präzise mit der Vorstellungskraft, indem ich mir beispielsweise Dinge merke, indem ich sie auf die Finger einer Hand lege oder indem ich ein umfassendes Thema in die Zimmer einer Wohnung lege. Ein Denkprozess verläuft dichter, wenn wir zur Merkfähigkeit die Vorstellungskraft und das Denken in Bildern aktivieren. Weiter prägt visuelles Denken unsere Sprache, da wir unsere Sprache entsprechend der Fähigkeit unseres visuellen Denkens mit Sprachbildern anreichern. Dementsprechend steigt auch unsere Fähigkeit, komplexe Dinge sprachlich passend und bildhafter darzustellen.

Wie kann Visual Thinking den Design Thinking Prozess richtig unterstützen?

Beim Visualisieren selbst geht es immer darum, auf die andere Seite zu wechseln, das heißt auf die Seite der Rezipienten: Mir vorstellen können, was der andere sieht und denkt, wenn ich etwas visualisiere. Auf diese Weise unterstützt Visual Thinking und Visual Facilitation den Prozess, die Bedürfnisse, Ansprüche, Denkweisen et cetera von Stakeholdern stets gut im Blick zu halten. Weiter erlaubt mir Visual Thinking ganz andere Einblicke in einen Gegenstand, auch räumliche, als wenn ich beispielsweise ein Konzept schreibe. Dadurch entstehen gerade in der Phase des Verstehens neue Perspektiven. Zudem kann ich mit einer Visualisierung eine Sache beziehungsweise ein Konzept sichtbar machen, was ja dieselbe Qualität ist, als wenn ich via Prototyping ein Konzept greifbar mache.

Gibt es zwischen Visual Thinking und Graphic Recording einen inhaltlichen Unterschied oder sind dies Begriffe synonym zu sehen?

Visual Thinking meint verschiedene Methoden, wie ich das Denken in Bildern aktivieren kann. Das beginnt bei sehr einfachen Übungen zum Training der Vorstellungskraft bis hin zu komplexen „Animationen“. Sehr gute Beispiele fand ich beispielsweise in Gottlieb Gunterns genialem „Sieben goldene Regeln der Kreativitätsförderung“.

Graphic Recording basiert teilweise auf Visual Thinking. Wer beim Graphic Recording mit seiner Denke und seiner Sensibilität nicht ganz vorne im Stift ist, wird beim Graphic Recording die Wand vor allem mit Text füllen, jedoch kaum mit entsprechenden Visuals. Aber: Graphic Recoding ist auch mehr als Visual Thinking, weil ich nicht nur in vollkommener Präsenz Bilder kommen lassen muss, sondern weil ich auch wahrnehmen muss, welche Bilder tatsächlich die richtigen für das jeweilige Publikum sind.

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Visualisierung eines kantonalen Entwicklungsplans für öffentliche Bibliotheken (Bild: © Daniel Osterwalder)

Auf was kommt es beim Visualisieren von Informationen, Ideen und Sachverhalten an?

Ich sage es so: Eine Visualisierung ist der „Große Wagen“ der Verständigung und im Sinne von Visual Facilitation der „Große Wagen“ der Erleichterung. Das heißt, eine Visualisierung soll einen Prozess erleichtern und tragen. Sie soll dazu dienen, dass die Verständigung über komplexe und auch schwierige Themen einfacher wird. Klarer und auch sichtbarer! Deshalb kommt es nicht so sehr darauf an, dass es schön gezeichnet ist, sondern darauf, wie die Visualisierung verstanden wird. Je besser ich mich auf der „anderen“ Seite, also auf jener des Publikums auskenne und deren Sprache (auch Bildsprache) verstehe, desto besser gelingt eine Visualisierung

Viele Menschen haben vor dem Visualisieren Scheu, da es in ihren Augen meist nicht schön aussieht? Wie nimmst Du diesen Personen die Angst? 

Das ist wahrlich ein sehr großes Thema! Wir lernen in neun Jahren Grundausbildung die vier „Unverzeihlichen“, wie ich sie nenne: Wir können nicht rechnen, nicht schreiben, nicht singen und eben nicht zeichnen. Ich interveniere da in meinen Trainings sofort und ganz direkt. Die Teilnehmer sagen dann beispielsweise: „Das sollen Spaghetti sein.“ Oder „Ich wollte einen Bär visualisieren“ und bitte sie, die Aussage aktiv und direkt zu formulieren. Also: „Das sind Spaghetti.“ oder „Das ist ein Bär, wie ihr unschwer erkennen könnt.“ Und dies mache ich ziemlich penetrant, damit die Teilnehmenden nicht laufend ihre Visualisierungen bewerten und eben auch abwerten.

Wie stark ist das Thema bereits heute in den Unternehmen verankert und wird aktiv zur Problemlösung und in Veränderungsprozessen angewendet?

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Visualisierung im Rahmen eines Kunden-Workshops (Bild: © Daniel Osterwalder)

So wie ich es in Unternehmen in Deutschland und in der Schweiz wahrnehme, sehen wir an vielen Orten erste Schritte beim Visualisieren und bei der Gestaltung von Flipcharts, Prozessabläufen und während Workshops, dass die Teilnehmenden rascher zu Stift und Farbe greifen, um etwas zu skizzieren. Gerade dies – das gemeinsame Sketchnoting oder auch am großen Tisch sitzend miteinander zeichnend und skizzierend bietet extrem viel Potential im Sinne hochwertiger Verständigung, verbesserter Kommunikation und erhöhtem Spaßfaktor. Gut, letzteres hören viele noch nicht wirklich gern, aber in Unternehmen, in denen während der Zusammenarbeit viel gelacht wird, besteht auch die Chance, dass viel intensiver nachgedacht und ein Thema vielfältiger untersucht wird. Und zur Verständigung noch dies: Ich erkläre Visualisierung immer als den „Großen Wagen“ der Verständigung, der Interaktionen erleichtert.

Um aber das Potential von Visual Thinking und Visualisieren noch besser auszunutzen, wäre schon noch einiges zu tun, gerade in der Kombination aus Visual meets Innovation & Design Thinking, wie wir dies auch anbieten.

Wie kann die Visualisierung für Moderations- und Gruppenformate genutzt werden?

Sehr vielfältig! Einerseits, indem einer in der Gruppe gleich live „mitsketched“, was besprochen wird. Dann aber sicher auch dadurch, dass in Gruppenformaten mittels Visuals Facilitation die gesamten Prozesse mit Hilfe der vielfältigen Methoden des Visualisierens und von Design Thinking unterstützt werden. Und andererseits tritt mittels Visualisierung das Direktive von vielen Moderatoren in den Hintergrund, die zu dominant einen Prozess in den Händen halten wollen, statt die Selbstführung der Gruppe zu überlassen. Insofern ist auch da Visualisierung ein hochwirksames Mittel. Vielleicht im Sinne der Self-Efficacy von Gruppen.

Was ist für Dich beim Visual Thinking der größte Nutzen für Unternehmen?

Visual Thinking bietet eine Vielfalt an Nutzen: Eine verbesserte und vereinfachte Kommunikation, Vertiefung der Interaktion, Erweiterung der Sichtweisen, Erleichterung, verschiedene Perspektiven nicht unverändert zu akzeptieren, sondern auch zu sehen, zu verstehen und davon den Nutzen abzuleiten, diese Vielfalt zu nutzen, erhöhter Spaß und Freude. Teams entwickeln einen intensiveren Austausch und können auch der Zeitfalle entkommen, alles gestern schon erledigt zu haben, was erst morgen angedacht wird, weil uns Visual Thinking dabei unterstützt, uns die richtige Zeit für die jeweiligen Schritte zu nehmen.

Zahlreiche Unternehmen denken darüber nach, diese Methode(n) in ihrem Unternehmen einzusetzen. Wie beziehungsweise wo sollten diese am besten starten?

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Gruppenarbeit mit Visual Thinking (Bild: © Daniel Osterwalder)

Ganz sicher nicht dadurch, dass bei einem Event, bei dem 200 Mitarbeitende zentral beschallt und zu-präsentiert werden, ein Graphic Recorder alles schön mitvisualisiert und ins Bild setzt, was in Präsentationen wenig wirkungsvoll bebildert wird. Ein Unternehmen muss verstehen, dass Visualisieren, Visual Thinking, Sketchnoting und Design Thinking sehr wirkungsvolle Herangehens- und Denkweisen sind, bei komplexen Fragestellungen in ungeahnte Tiefen einzutauchen, um Fragestellungen und Herausforderungen wirksam, stimmig und sichtbar zu beantworten und zu bewältigen. Ich würde dies iterativ angehen – Schritt für Schritt vom Kleinen ins Große. Beispielsweise indem sich kleine Gruppen die Fähigkeit des Sketchnoting und Visualisierens aneignen können, und dass dies dann auch in ganz unterschiedlichen Formaten ausgebaut wird – zum Beispiel mit Design Thinking, agile Facilitation und vielem anderen mehr. Auf jeden Fall braucht es Unterstützung von Facilitatoren, die nicht nur visualisieren und graphisch arbeiten können, sondern die auch etwas von der Komplexität in Unternehmen und bei Innovationen verstehen.

Sollten Unternehmen eine externe Unterstützung in diesen Aktivitäten mit einbinden oder es selbst organisieren?

Wie erwähnt, ist eine externe Unterstützung sicher sehr hilfreich. Heute ist die Situation jedoch die, dass nur ein kleiner Teil von Visualisierern oder Graphic Recordern entweder über eine große, methodisch-didaktische Weite verfügen oder als Rüstzeug mehr als nur den graphischen Hintergrund miteinbringen. Unternehmen sollten deshalb sicher klären, in welcher Tiefe die externe Unterstützung das Verständnis für Organisationsentwicklung, Innovation, Design Thinking et cetera hat, um auf diese Weise sicherzustellen, dass die externe Unterstützung ein wenig mehr liefert, als mit wenigen Buchstaben eine Figur zu visualisieren. Idealerweise liefert die externe Unterstützung Hilfe beim Setting bis hin zur Umsetzung in beispielsweise Design Thinking Workshops.

Daniel, vielen Dank für die interessanten Ausführungen. Man merkt so richtig, dass Du das Thema aktiv lebst und viel Erfahrung mitbringst. So wie ich Dich seit Jahren kenne. Dir weiterhin viel Erfolg.

 

Über Daniel Osterwalder

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Daniel Osterwalder, Geschäftsführer der visualdynamics – Osterwalder & Stadler GmbH (Bild: © Daniel Osterwalder)

Daniel Osterwalder begleitet seit rund 15 Jahren Organisationen in Veränderungsgeschichten zu Themen wie Excellence, Wissensorganisation, Qualitätsentwicklung, Changemanagement und Lernen. Dabei stehen so unterschiedliche Schwerpunkte wie Visionen, Strategieentwicklung, Geschäftsmodellierung, Personalentwicklung, Problemlösung, Prototyping für Leadership, Stadt- und Quartierentwicklung oder schlicht die Neuentdeckung innovativer Ausbildungs- und Weiterbildungsansätze im Brennpunkt. Im Sinne des co-think, co-create und co-operate erschliesst und gestaltet er zusammen mit den Beteiligten Veränderungen und Herausforderungen neu.

Mit seinem bekannten Stil des Graphic Recording bietet er seinen Kunden mittels kräftiger Bilder neue Einblicke in die eigene Organisation und Unternehmung an, die oftmals Anstoss dafür sind für neue Entwicklungsschritte.

Visualdynamics ist Partner der Haufe-umantis und gestaltet gemeinschaftlich mit uns Transformationsprozesse.

Quelle Titelbild: © Daniel Osterwalder

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