Innovationen lassen sich fördern und entwickeln – aber nur unter bestimmten Umständen. Transrapid, Segway oder Siemens-Großrechner: Sie wurden bis zur Marktreife entwickelt, wirklich durchsetzen konnten sie sich aber nie. Wir aber brauchen heute dringend neue Innovationen, wenn wir unser Wirtschaftssystem auf nachhaltige Füße stellen und Herausforderungen wie die Klimagerechtigkeit und die wachsende soziale Ungleichheit meistern wollen. Die 17 SDGs (Sustainable Development Goals) geben der Welt die Agenda – 193 Staaten haben ihr Commitment für die Zielerreichung gegeben. Unser Innovationsdenken muss dringend innoviert werden. Welche Rolle Innovationsregimes dabei spielen und welche Faktoren es beeinflussen, zeige ich in diesem Artikel.
Gesellschaft gestaltet Innovationsregimes
Wir wissen: die Innovationsgeschwindigkeit hat sich in den vergangenen Jahrzehnten drastisch erhöht: Die Digitalisierung befeuert disruptive Technologien, die Verhaltensänderungen bei uns allen bewirken. Wertvorstellungen verschieben sich weiter vom Materiellen hin zum Immateriellen: Die Generationen Y und Z streben nicht mehr nach mehr Geld, sondern nach mehr Selbstverwirklichung, mehr Freiheit, mehr Selbstständigkeit. Eine Entwicklung, die in den späten 1960er Jahren begonnen hat und heute stärker denn je ist. Die Themen Umweltschutz und Klimagerechtigkeit sind in breiten Bevölkerungsschichten angekommen: Massenproteste entfalten gesellschaftliche und politische Schlagkraft und bringen die Verantwortlichen – wenn auch (noch) viel zu langsam – zum Handeln.
Wie Innovationen entstehen
Mit der Frage, wie Innovationen entstehen, habe ich mich auf meinem Blog schon oft beschäftigt:
- Beim Thema „Leapfrogging“ geht es darum, wann es sinnvoll ist, einzelne Entwicklungsstufen einfach zu überspringen.
- Das Organisationsprinzip der „Ambidextrie“ zeigt, wie Unternehmensstrukturen Innovationen in ihrer Entwicklung begünstigen und dafür sorgen, dass diese auch auf die Straße kommen.
- Auf Learning Journeys schaue ich mir an, wie Innovationen in anderen Ländern und Unternehmen entstehen.
- Kreativtechniken und agile Methoden wie First Principles Thinking, Design Thinking oder Design Sprints fördern die Entwicklung und Umsetzung innovativer Ideen.
Bei der Arbeit an meinem aktuellen Buch „Future Business Kompass – der Kopföffner für besseres Wirtschaften“ habe ich eine neue, ganzheitlichere Perspektive erlangt: Innovationen werden nur dann erfolgreich – setzen sich also am Markt durch und führen zu gesellschaftlichen und Verhaltensänderungen – wenn viele verschiedene Faktoren zusammenwirken. Diese Faktoren nennen die Gesellschaftswissenschaften ein Innovationsregime – ich nenne sie den Future Business Kompass.
Was ist ein Innovationsregime?
Es geht um das Verweben mehrerer Facetten: Gesellschaftliche (Wert-)Vorstellungen, individuelle menschliche Gewohnheiten und politische Regeln bilden gekoppelt mit einer Innovation – beispielsweise einer neuen Technologie – ein Innovationsregime. Disruptive Innovationen können zu einem Wechsel des Innovationsregimes führen: Dann ändern sich infolge der Technologie die Wertvorstellungen, Verhaltensweisen sowie Gesetze und Normen. Dies ist ein interdependenter Prozess.
Innovationsregimes sind in Teilen vergleichbar mit den „Habit Innovations“. Die Veränderung von Verhalten (habits) ist das zu Grunde liegende Motiv der großen Digitalkonzerne in der Innovation. Deren Services und Produkte sollen nicht nur auf den Markt geworfen werden, nicht nur verkauft werden, nicht nur eine neue App gelauncht werden, es soll nicht nur einfach ein Produkt entstehen – sie wollen gesellschaftliches Verhalten prägen und dadurch eine hohe Abhängigkeit, im Wortsinn, zu ihren Services und Produkten schaffen. Man spricht hier vom sogenannten Habit Loop. Es ist vergleichbar mit einem Drogendealer der Abhängigkeit zu seinen „Kunden“ schafft. Stellen Sie sich doch mal vor es gäbe kein Amazon mehr, kein Uber/freeNow, kein airbnb, keine Suchmaschine, kein Instagram/Facebook/LinkedIn & Co…..? Es würde uns mehr fehlen als ein digitaler Service.
Innovationsregimes bilden sich bottom-up
Innovationsregimes lassen sich nur bedingt steuern. Denn sie entstehen nicht von oben verordnet, sondern aus gesellschaftlichen Bewegungen heraus. Die sogenannte Diffusion of Innovation Curve zeigt uns: Meistens geht eine kleine Gruppe Vorreiter (Innovators) voran, die beispielsweise die neue Technologie nutzt und neue Verhaltensweisen ausbildet. Diese Gruppe findet immer mehr Mitstreiter (Early Adopters), bis sich die Neuerung in breiten Schichten durchsetzt (Early and late majority). Infolgedessen müssen Gesetze und Vorschriften angepasst werden – was die Verbreitung weiter fördert.
Ein neues Klimaregime entsteht
Heute befinden wir uns im Umbruch unseres Klimaregimes: Breite Teile der Bevölkerung wollen Klimaschutz vor Wirtschaftsinteressen stellen. Fridays for Future und Extinction Rebellion protestieren mit charismatischen Führungspersonen wie Greta Thunberg, Carola Rackete oder Luisa Neubauer gegen die Bräsigkeit in Politik und weiten Teilen der Wirtschaft. Mit neuen Verhaltensweisen gehen sie voran und sorgen durch ihre mediale Präsenz mit dem Kampf für eine bessere Welt für Bewusstseinswandel und Verhaltensänderungen in der Gesellschaft. Müllsammeln, Bäumepflanzen und der Verzicht auf Plastik sind nichts mehr für Nerds, sondern längst im Mainstream angekommen. Sustainability is the new black.
Warum wir Innovationsregimes für besseres Wirtschaftens brauchen
Diese Tendenzen stimmen mich zuversichtlich. In meinem Buch Future Business Kompass habe ich viele weitere Indikatoren untersucht und beschrieben. Denn die Art, wie wir heute Wirtschaften ist alles nur (meist) nicht nachhaltig. Wir müssen aufhören, Ressourcen ohne Rücksicht auf nachfolgende Generationen auszubeuten. Wir dürfen nicht länger auf dem Rücken von Armen und Schwachen Profite erzielen. Vielmehr müssen wir an unsere Kinder, Enkel und Urenkel denken und unser Gewinnstreben sozialen Aspekten unterordnen. Vier Aspekte (oder wie im FutureBusiness-Kompass: Himmelsrichtungen) umrahmen das neue Innovationsregime:
1. Individuum
Einzelne Persönlichkeiten, ich nenne sie Kopföffner, haben den Handlungsdruck erkannt und gehen laut und mit gutem Beispiel als Vorbilder voran – zum Beispiel die oben genannten Klima-Aktivistinnen aber auch Kopföffner wie der Schauspieler und Umweltaktivist Hannes Jaenicke oder Felix Finkbeiner, der mit 12 Jahren 2009 seine Initiative Plant for the Planet gegründet hat und mittlerweile über 13 Mrd. Bäume gepflanzt hat. In der Vergangenheit haben charismatische Persönlichkeiten u.a. wie der „ewige Umweltaktivist“ Al Gore immer und immer wieder dafür gesorgt, dass der menschengemachte Klimawandel als Tatsache anerkannt wurde.
2. Gesellschaft
Gesellschaftliche Vorstellungen müssen den Nährboden bilden, auf dem der Wandel passiert und Innovationen wachsen und gedeihen können. Die besten Ideen können sich nicht entfalten, wenn die Gesellschaft nicht reif dafür ist. Viele Innovationen scheitern – oder müssen „abwarten“. So wurde das E-Auto in seiner jetzigen Form wurde bereits in den 1990er Jahren entwickelt. Dennoch hielten es weder Industrie noch Politik mehr als 20 Jahre lang nicht für nötig, in technologische Weiterentwicklung und Infrastruktur zu investieren. Diese fatalen Fehleinschätzungen dürfen nicht mehr passieren. Denn selbst den größten Anhängern des Kapitalismus und linearer Marktwirtschaft wird klar – weiter wie bisher geht nicht mehr.
Auch wenn die Mittel vorhanden waren: Der Drang zur Veränderung ist umso kleiner, je besser es einem Land, einer Gesellschaft geht. Schließlich ist das Zurücklassen von Altbewährtem immer auch ein Risiko. Je mehr man aufgibt, desto schwerer fällt das. Andererseits: Unsicherheiten wie Wirtschaftskrisen verstärken den Drang noch, sich an frühere Zeiten zu klammern, in denen vermeintlich alles besser war. Es ist also auch und vor allem eine Frage der Psychologie, ob sich ein Innovationsregime durchsetzen kann oder nicht.
Durch den Druck des fortschreitenden Klimawandels und die immer größer werdende Aufmerksamkeit für seine Folgen passiert gerade das: Die Gesellschaft wird bereit für neuen Technologien, weil sich Innovationsregimes wandeln.
3. Wirtschaft
Wirtschaft und Unternehmen müssen umdenken, schnell und massiv – und tun dies zunehmend. Nicht zuletzt auch, weil Konsumenten kritischer werden und stärker hinterfragen, woher ihre Produkte kommen und unter welchen Umständen sie produziert werden. Es ist eindeutig, der Weg muss von der Linear- in die Kreislaufwirtschaft.
Ein großer Treiber sind die Finanzmärkte, die sich wandeln. Milliarden Investments verschieben sich in ESG (Environemantal, Social, Governance) oder Impact Investments. Immer mehr Vermögensverwalter und Pensionsfonds arbeiten mit Klimaschädlichen Ausschlußkritieren z.B. keine Kohlekraftwerke oder Koksförderung mehr zu finanzieren. Und Firmen die den nachhaltigen Weg nicht mitgehen bekommen immer weniger Geld an den Finanzmärkten. Die Transparenz wächst auf die nicht finanziellen Berichterstattungen, auch getrieben durch eine neue EU Rechtssprechung seit 2017 für die 500 größten und öffentlich wirksamsten Unternehmen dies in ihren Nachhaltigkeits- und/oder CSR Berichten auszuweisen. Und die Nachfrage von Kunden nach nachhaltigen Finanzprodukten steigt immens. Machen Sie als Verbraucher den Vergleich, den ich in meinem Buch gemacht habe. Ich habe die rund 14 Social- und Impact Banken in Deutschland mit den tradierten Banken die Teil und nicht Lösung des Problems sind verglichen. Jeder von uns hat es in der Hand für welche Bank er/sie sich entscheidet sein Geld anzulegen und es nachhaltig(er) Wirtschaften zu lassen.
Social Business erlebet seine nächste Generation und große Potentialentfaltung über den gesamten Globus. Danone, Cisco, Intel, Adidas oder BASF haben sich vor über zehn Jahren erfolgreich auf den Weg gemacht Kapitalismus durch Social Business neu zu denken und alternative Geschäftsmodelle zu entwickeln. Es schließen sich immer weitere Unternehmen wie jüngst MAN oder VW in Deutschland an: Der VW Konzern hat den Global Social Business Summit 2018 veranstaltet und unterstützt weiterhin die globale Bewegung von Social Business nach außen und nach innen. Natürlich geht es hier auch darum, das Vertrauen der Kunden (zurück) zu gewinnen und damit wirtschaftlich profitabel zu sein. Allein: Es reicht nicht mehr, den Aktionären immer neue Umsatz- und Gewinnrekorde zu präsentieren. Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit gehen alle an. Alle Indikatoren die ich untersucht habe zeigen positive Tendenzen in die Richtung besseres Wirtschaften.
4. Bildung
Um die Innovationen zu schaffen, die unsere Welt verbessern, brauchen wir neue Formen der Bildung und Ausbildung. Seit Jahren lässt die Politik Lehrer, Eltern und Kinder mit vorsätzlichem Bewusstsein im Stich. Die KFW kalkuliert den Investitionsstau für eine bessere Bildung (u.a. Infrastruktur, Lehrerausbildung, Lehrermangel) mit 42,8 Milliarden Euro. Unsere Kinder und Enkel sind es aber, die die Welt von morgen gestalten. Dazu müssen wir sie zu eigenständig denkenden und kreativen Menschen erziehen. Das was heute zu wenig passiert. Die aktuelle Shell Studie (Oktober 2019) zeigt teils ernüchternde Ergebnisse. Sie müssen in der Lage sein, neue Wege zu gehen statt sich in bestehende Systeme einzupassen. Kreativität und Problemlösung sind die wichtigsten skills die gelernt und trainiert werden müssen.
Bildung ist der Faktor, mit der unsere Zukunft steht und fällt: Gestalten wir die Bildung der nachfolgenden Generationen, dann gestalten wir die Zukunft der Menschheit.
Ich freue mich, wenn Sie gemeinsam mit mir in den Diskurs zu besserem Wirtschaften einsteigen. Mein Buch „Future Business Kompass -der Kopföffner für besseres Wirtschaften“ soll dazu anregen die Diskurse zu führen, die wir führen müssen.
Quelle Titelbild: Mika Baumeister / Unsplash.com