Luftaufnahme von nachhaltigen Strukturen mit großen Solarpanels und zahlreichen Gebäuden in strukturierter Anordnung
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Ökosysteme für Innovationen

Innovationen können nur entstehen, wo die Rahmenbedingungen passen und sie willkommen sind. Obwohl ich ein großer Fan davon bin, aber wir können uns nicht darauf verlassen, dass Innovationen nach dem Muster der Serendipity in der Quantität, wie sie notwendig sind, auf uns zukommen. Gezielte Innovationsentwicklung folgt klaren Prinzipien, die an verschiedenen Orten in der Welt erfolgreich umgesetzt werden: Partner aus Wissenschaft, Forschung, Kapital, Unternehmen und Talente schließen sich in einem Innovationscluster zusammen und vernetzen ihre Ressourcen und ihr Wissen. Wenn die richtigen Strukturen vorhanden sind, wird gezielte Vernetzung zum Paradigma und man kann vom Innovationscluster oder besser von Ökosystemen für Innovation sprechen.

Silicon Valley: Das Paradebeispiel

Na klar! Wenn es um Innovationen geht, ist das Silicon Valley wohl der erste Ort, der den Menschen einfällt. Aber warum entstehen gerade in der kalifornischen Wüste so viele Tech-Innovationen? Die Antwort darauf habe ich in den Berichten meiner zahlreichen Learning Journies immer wieder gegeben: Hier hat sich ein Ökosystem entwickelt, in dem alles vorhanden ist, was eine funktionierende Kinderstube für disruptive Technologien braucht. In diesem Sammelbecken treffen technisches Know-how, Kapital, Forschung, Universitäten auf Weltklasseniveau, Start-ups und Unternehmen unterschiedlichster Entwicklungsstufen in einem Cluster zusammen.

Ein entscheidender Faktor für die enorm hohe Innovationsquote besteht in der strukturellen Vernetzung der einzelnen Akteure: Es geht um den permanenten Wissensaustausch zwischen Forschung, Unternehmern und Investoren. Dann entsteht

  1. eine fruchtbare Vernetzung verschiedener Perspektiven, auf denen
  2. disruptive Geschäftsideen aufbauen und ausgearbeitet werden und
  3. in die praktische Umsetzung überführt werden können.

Das Silicon Valley ist nur ein Beispiel, in den USA finden sich an der Westküste – mit Boston und New York oder in Texas in und rund um Austin – weitere sehr erfolgreiche Umsetzungen. In diesem Beitrag beschreibe ich noch weitere interessante Cluster und wie sie entstanden sind.

Deutsche Wirtschaft muss innovativer werden

Statista-Infografik zu deninnovativsten Ländern der Welt laut Bloomberg Innovation Index 2020

Es gibt also große Innovationsvorbilder und alle wollen sich an diesem einmaligen Ökosystem für Innovationen orientieren, richtig? Zwar ist der Vorbildcharakter des Silicon Valley bemerkenswert, allerdings liegen die USA laut Blomberg Innovation Index gerade einmal auf Platz Neun der Innovativsten Länder der Welt. Noch viel überraschender: Im aktuellen Ergebnis belegte Deutschland Platz Eins und löst damit im aktuellen Ranking Südkorea ab – also das Land, das sechsmal in Folge die Weltrangliste anführte.

Allerdings: Die Innovationskraft in Deutschland ist ausbaufähig
und fußt auf meist alten industriellen Strukturen. Wir alle kennen die Zitate mit der ersten und der zweiten Halbzeit.

Wie unterschiedlich deutsche Unternehmen mit dem Thema Innovation umgehen zeigt eine aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung „Innovative Milieus. Die Innovationsfähigkeit deutscher Unternehmen“. Darin wird untersucht, auf welche innovativen Milieus sich die deutschen Unternehmen verteilen, wie innovationsstark sie sind, wie hoch ihr digitaler Reifegrad ist und wie hoch ihre Investitionen in die digitale Transformation ausfallen. Bitte einmal lesen, der Aufbau der Studie ist interessant.


An disruptiven Innovationen führt kein Weg vorbei

Wie viel Luft nach oben es gibt, zeigt das deutsche Traditionsgeschäft schlechthin: Die Automobilindustrie und deren Zulieferer. Denn diese stecken hierzulande in der größten Innovationskrise seit dem Durchbruch des motorisierten Personentransports. Die Wurzeln dieser Krise beginnen weit vor dem Dieselskandal und der Elektro-Revolution. Der Druck rührt maßgeblich daher, dass in den saturierten Wohlstandsphasen der vergangenen Jahrzehnte wichtige Chancen auf Erneuerung und Innovation nicht in der notwendigen disruptiven Form ergriffen wurden.

Dieser Rückstand ist auch dem fehlenden Verständnis für Innovation und teilweise unzureichend vernetzten Strukturen und der Bereitschaft für Kooperation geschuldet. Besonders deutlich wird dieser Unterschied, wenn man Deutschland und Europa mit China und den USA vergleicht – und daran ändert auch der vermeintlich objektive Bloomberg Innovation Index nichts. Wenn Deutschland nicht auf dem Abstellgleis landen will, gilt es, sich und seine Industrien neu zu erfinden.

Das Gebot der Stunde lautet, gerade für nachhaltige Innovationen die idealen Bedingungen zu schaffen. Es geht dabei schließlich um kein geringeres Ziel als die Rettung des Planeten Erde als Lebensraum für unsere nächsten Generationen.

Gute Innovationscluster stärken die Vernetzung

Seit 2005 gibt es den Pakt für Forschung und Innovation des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Mit dabei ist auch die Fraunhofer-Gesellschaft, die mit ihren eigenen Innovationsclustern auf einem soliden Fundament aufsetzt. In diesem Ökosystem werden zum einen Partner in Industrie und Forschung interdisziplinär besser vernetzt. Zum anderen wird diese wissenschaftliche und praktische Expertise in konkreten Projekten umgesetzt.

Was diese Ökosysteme für Innovationen spannend macht: Neugründungen und neue Innovationen können schneller und zielgerichteter entwickelt und vorangetrieben werden dank optimaler Bedingungen und verfügbarer Ressourcen. Es herrschen ideale Umstände in puncto Ausbildung, Weiterbildung und Förderung aller Beteiligten. Fördermittel entfalten maximale Wirkung, da sie der gesamten Clusterstruktur zugutekommen. Und: All dies trifft unmittelbar in der Region vor Ort zusammen. In Clustern erlebt man daher hohe Reibungsdichte.

Zusammengefasst: Innovationscluster sorgen für

  • eine gezielte Bündelung von Ressourcen in Forschung und Entwicklung, die zwar zuvor vorhanden, jedoch nicht effizient genug vernetzt waren.
  • einen notwendigen Transfer und Austausch zwischen den unterschiedlichen Akteuren.
  • eine Dynamik, die Innovationen mit maximaler Energie vorantreibt.
  • eine Förderung von lokalen Wissens- und Kompetenzzentren und der wirtschaftlichen Weiterentwicklung in der Region.

Innovationscluster liefern mehr und bessere Innovation

Die Fraunhofer-Innovationscluster sind glücklicherweise nur eines von vielen Beispielen. An dieser Stelle möchte ich einige Ökosysteme der Innovation exemplarisch vorstellen.

Adlershof: Science at work

Das Innovationscluster Adlershof versteht sich als die Wiege der deutschen Luftfahrt und als Standort der Zukunft – in deren eigenen Worten zusammengefasst: „der klügste Kiez Berlins“. Wo früher die Industrie von Motorflug, Forschung, Film und Fernsehen florierte, hat sich inzwischen ein hochmoderner Technologiepark und ein Uni-Campus etabliert. Hier vernetzen sich Wissenschaft, Wirtschaft und Medien. Es arbeiten und studieren hier 25.000 Menschen auf 4,2 Quadratkilometern an zehn außeruniversitären Forschungseinrichtungen, sechs Instituten der Humboldt-Universität und 1.144 Firmen mit Technologie-Fokus.

Ganz im Sinne einer zukunftsweisenden Vernetzung gibt es hier zudem Netzwerke, die stark an die Start-up-Embassys im Silicon Valley erinnern. Beispielsweise durch das Innovations- und Gründer-Zentrum IGZ in Berlin Adlershof erhalten Firmengründer aus dem High-Tech-Sektor bereits seit 1992 Starthilfe und gute Bedingungen für ihre Vorhaben.

Bio-Innovation

Im direkten Umfeld der Universitätsstadt Bonn mit den mittlerweile meisten universitären Excellenclustern in Deutschland hat sich der Verein bio innovation park Rheinland gegründet. Dieser steht für ein Netzwerk, das sich grüne Technologien und Bioökonomie auf die Fahnen geschrieben hat. Beteiligt sind am Campus Klein-Altdorf die Universität Bonn, spezialisierte und international renommierte Unternehmen und Forschungseinrichtungen.

Die hier stattfindende Cluster-Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft ist auf die Landwirtschaft der Zukunft ausgerichtet und wird ganz gezielt in beide Richtungen vorangetrieben: Wissenschaftliche Erkenntnisse können vor ihrer Einführung getestet und weiterentwickelt werden. Gleichzeitig fließen Zukunftsthemen direkt in Forschung und Lehre mit ein. Im Zuge der Bioökonomie-Strategie der Bundesregierung hat der bio innovation park Rehinland enormes Potenzial, seine bestehende Struktur auf nachhaltige Zukunftsthemen zu erweitern.

Foodvalley

Das Foodvalley in den Niederlanden steht bereits seit 15 Jahren für vernetzte Innovation. In diesem Cluster versammeln sich unter dem Motto „Shaping the Future of Food“ insgesamt 8.000 WissenschaftlerInnen und 1.500 Firmen im Bereich Lebensmittel und Landwirtschaft. Insofern versteht es sich als Ökosystem für Innovationen, das beides aufweisen kann: zahlreiche Innovationen und Lösungsansätze auf Weltklasse-Niveau wie auch eine zielgerichtete Zusammenarbeit von Firmen, Wissenseinrichtungen, Bildung und Regierung.

Der Fokus der Arbeit im Foodvalley liegt auf vier Hauptschwerpunkten: Der (zu hohe und falsche) Eiweißkonsum der Gesellschaft, Ackerbauformen, der Zusammenhang zwischen Gesundheit und Ernährung und Smart & Digital Technology. Insbesondere der Einsatz von geeigneten Technologien in allen anderen Kernthemen bildet den Schlüssel für bahnbrechende Innovationen – mithilfe von neuester Daten- und Sensoren-Technologie sowie Künstlicher Intelligenz.

Green Tech Cluster

Das Green Tech Valley bei Graz in der Steiermark versteht sich als globales Zentrum in Sachen innovativer Technologien für Energie und Umwelt. Hier arbeiten insgesamt 220 Unternehmen und Forschungseinrichtungen an Technologien, bei denen Nachhaltigkeit und Umweltschutz im Vordergrund stehen. Interessanterweise stehen hier nicht nur Akteure aus der Wissenschaft und Wirtschaft im Austausch, sondern ganz bewusst auch Partner aus der Verwaltung. Der Hauptfokus teilt sich in drei Bereiche:

  • Green Energy: Innovative Energiegewinnung aus Biomasse und Biomasseresten
  • Green Building: Gezielte Ausstattung von Gebäuden mit Energiekomponenten 
  • Green Resources: Saubere und effiziente Recyclingverfahren („Super-Clean-Recycling“).

Das Green Tech Cluster nimmt für sich in Anspruch, dass Unternehmen dort doppelt so schnell wachsen als andernorts – und zwar hinsichtlich des Umsatzes, der Quoten in Forschung und Entwicklung und der Mitarbeiterzahl.

H-Farm

Die H-Farm – oder genauer gesagt: der H-Campus – befindet sich in der Nähe von Venedig. Der Fokus bei diesem Innovationscluster liegt auf der Kombination von Innovation, Unternehmertum und Bildung. Das „H“ im Namen steht für Human: der Mensch soll die zentrale Rolle in allen Projekten einnehmen, insbesondere die jungen Menschen. An diesem Ort steht das Gemeinsame im Vordergrund, das heißt Gemeinsam Leben, Lernen und Wachsen.

Die Bildungsangebote vor Ort decken alle Altersstufen vom Kindergarten bis zur weiterführenden Schule ab. Die Vision zielt zwar weniger auf Nachhaltigkeit und Umweltschutz an sich ab. Dafür können die Menschen und Unternehmen sich selbst umfassend „auf die Zukunft“ vorbereiten, neu lernen – und die Innovationen vorantreiben, die wir brauchen.

Oulu Innovation Alliance

Bei der Oulu Innovation Alliance (OIA) in Finnland handelt es sich genau genommen um ein Netzwerk von Netzwerken: Die vier Bereiche

  • Agile Commercialization
  • Oulu Health
  • ICT & Digitalization
  • Industry 2026

Sind eigene Ökosysteme für Innovationen, die zu einer offenen Zusammenarbeit zur Verfügung stehen. In dieser Innovations-Allianz kooperieren unter anderem die Stadt Oulu sowie die ansässigen Universitäten und Fachhochschulen, das Universitätskrankenhaus sowie übergreifende Forschungseinrichtungen und Institute.

In der Hauptausrichtung geht es bei der Oulu Innovation Alliance vorrangig um Innovationen im Bereich der Arktis sowie optimale Bedingungen für regionales Wachstum und Neugründungen vor Ort.

Sophia Antipolis

Zu guter Letzt noch einer der ältesten Wissenschaftsparks der Welt: In der Nähe von Antibes und in unmittelbarer Reichweite von Nizza und Cannes findet sich Sophia Antipolis, gegründet bereits 1969 und mit inzwischen mehr als 1.350 Unternehmen und 34.400 Beschäftigten. Die fachlichen Schwerpunkte liegen auf der Informationstechnologie, weitere Bereiche sind die Lebens- und Umweltwissenschaften sowie Feinchemie.

Dieses Innovationscluster hat nicht nur im französischen Inland eine enorme Bedeutung, sondern verfügt zudem über internationale Strahlkraft. Des Weiteren finden hier staatlich geförderte Exzellenzprogramme, Universitäten und Grandes écoles wie auch Forschungseinrichtungen einen wichtigen Schnittpunkt. Hinzukommen internationale Kooperationen und zahlreiche EU-geförderte Projekte.

Auf unseren Learning Journies besuchen wir auf der ganzen Welt immer wieder Tech Cluster und Innovationsnetzwerke. In diesem Beitrag konnte ich nur einige davon beschreiben. Welche Cluster kennen Sie, für die sich ein näherer Blick lohnt?

Mut zur Innovation: Ein Credo für alle

Dieser kleine Überblick zeigt: Es gibt viele erfolgreiche Beispiele, die Mut machen und von denen wir für die Lösung unserer Probleme in der Welt lernen können. Wir brauchen gezielt organisierte Innovationscluster und eine Vernetzung von Wissenschaft, Talenten, Kapital und Wirtschaft. Genau das ist der Boden, aus dem eine Sustainable Transformation für eine enkelfähige Zukunft entstehen kann.

Klar ist allerdings auch, dass die Politik viel zu tun hat: Sie muss die Rahmenbedingungen dazu um ein Vielfaches verbessern, damit mehr Innovationscluster zu einzelnen Themen und Projekten entstehen können. Wir brauchen die Investitionen in Innovationen und Ökosysteme, die Strukturen fördern, die langfristig das Überleben aller sichern: Von Unternehmen, von Innovationstreibern vor Ort und von den Menschen weltweit.

Quelle Titelbild: © Pavlo Glazkov | stock.adobe.com

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