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Ethikorientierte Führung: Synergie von Leistung und Menschlichkeit – Interview mit Prof. Dieter Frey

Mehr denn je nehmen Purpose, Moral, gesellschaftliche Verantwortung und Ethik einen immer wichtigeren Stellenwert ein. Unternehmer, Top Manager und Führungskräfte werden unmittelbarer an ihren persönlichen ethischen Werten gemessen. Für viele Blender in Führungsetagen ein offener Angriff, für alle gesellschaftlich verantwortungsvollen Führungskräfte eine wirkungsvolle Bestätigung. Der Münchner Sozialpsychologe Dieter Frey ist eine Koryphäe auf dem Gebiet der Führungskultur. Mit dem Center for Leadership and People Management an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) hat Dieter Frey das Konzept der ethikorientierten Führung entwickelt. Im Rahmen meiner Aktivitäten bei der Selbst GmbH durfte ich Dieter Frey kennenlernen und in den letzten Jahren mehrmals in Workshops, Panels und Vorträgen bei unseren Netzwerktreffen erleben. Umso mehr freue ich mich, dass ich Dieter Frey nun für ein Interview auf meinem Blog gewinnen konnte, in dem wir uns über ethikorientierte Führung und die Umsetzung einer neuen Führungskultur in den Unternehmen austauschen konnten.

Ethikorientierte Führung – die Prinzipien

Ethikorientierte Führung basiert nach Frey auf den folgenden Prinzipien

  • Vermittlung von Sinn und Vision,
  • Aufgaben, die Fähigkeiten und Vorlieben entsprechen,
  • Transparenz durch Information und Kommunikation,
  • Autonomie und Freiraum,
  • Ziel- und Erwartungsklarheit,
  • positives und kritisches Feedback zur fachlichen und persönlichen Entwicklung
  • Wertschätzung
  • Fairness
  • Einbindung und soziale Unterstützung
  • Wachstumsperspektiven

All diese Prinzipien ethikorientierter Führung sind letztlich Rahmenbedingungen, die intrinsische Motivation fördern. Auf dieser Grundlage entwickeln Mitarbeiter Vertrauen, identifizieren sich mit ihrer Aufgabe, ihrem Unternehmen und den Führungskräften und zeigen erhöhte Motivation und Leistungsbereitschaft.

Führungskräfte brauchen vielfältige Kompetenzen

Stephan Grabmeier: Hallo Herr Professor Frey, Sie beschäftigen sich schon seit vielen Jahren im Rahmen Ihrer Forschung und in verschiedenen Projekten, bei denen Sie mit Unternehmen zusammenarbeiten, mit dem Thema Ethikorientierte Führung. Das Thema Führungskultur ist in den vergangenen Jahren immer präsenter geworden: Sozialkompetenzen als sogenannte Future Skills werden als zunehmend wichtiger eingeschätzt als Fachkompetenz. Welche Eigenschaften bringt die ideale Führungskraft aus der Sicht eines Sozial- und Wirtschaftspsychologen mit?

Dieter Frey: Man könnte die ideale Führungskraft mit einem Adler vergleichen. Ein Adler kann nicht nur mit einem Flügel fliegen, sondern benötigt dazu beide Flügel. Ebenso braucht eine Führungskraft Fachkompetenz auf dem betreffenden Gebiet. Doch reine Fachkompetenz reicht nicht aus. Die Führungskraft benötigt außerdem Sozial-, aber auch Methoden- und Führungskompetenzen. Zu diesem zweiten Flügel gehört z.B. Brücken zu bauen, Ziele zu vereinbaren, Probleme zu lösen, Menschen mitzunehmen, sie zu motivieren, zu entwickeln und groß werden zu lassen. Nur so werden sämtliche Ziele und Problemlösungen des Unternehmens zu gemeinsamen Zielen und Problemlösungen.

Gemeinsame Ziele entstehen dann, wenn die Führungskraft Rahmenbedingungen schafft für intrinsische Motivation. Das funktioniert nur, wenn die Führungskraft in der Lage ist, den Sinn der Aufgabe und das übergeordnete Ziel zu vermitteln – eine Grundvoraussetzung für die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. In Summe heißt das, dass die Führungskraft gar nicht unbedingt im Vordergrund stehen muss. Sie sollte und müsste eigentlich eher im Hintergrund stehen – hinter ihren Mitarbeitern und sie unterstützen.

Ethikorientierte Führung muss gerade in schwierigen Zeiten umgesetzt werden

SG: Obwohl Unternehmen und Forschung seit Jahren einen Wandel in der Führungskultur fordern und Forschungsergebnisse die bessere Effektivität einer ethikorientierten Führungskultur beweisen, scheint in der Praxis nicht viel zu passieren. Laut der Gallup-Studie 2017 machen 75 Prozent der Arbeitnehmer Dienst nach Vorschrift und 20 Prozent haben innerlich gekündigt – mit modernen Führungsmethoden, die Sinn und Vision vermitteln, Freiräume gewähren und Menschen in Entscheidungsprozesse einbinden dürfte das doch nicht sein. Woran liegen aus Ihrer Sicht die Probleme und Defizite?

DF: Bei diesen Forderungen nach einem Wandel handelt es sich oft um Sonntagsappelle und Verhaltensweisen in Schön-Wetter-Perioden. Entscheidend ist aber auch das Verhalten in Schlecht-Wetter-Perioden, z.B. wenn die Geschäftslage nicht so gut ist, wenn schwierige Situationen entstehen, wenn man im Extremfall auch Arbeiten umsonst gemacht hat, wenn Führungskraft oder Mitarbeiter nicht gut drauf sind usw.

Mitarbeiten findet ähnlich wie eine Paarbeziehung nicht nur an einzelnen Tagen, sondern an Hunderten von Tagen statt. Auch an Tagen, an denen es suboptimal läuft, sollte eine Atmosphäre erhalten werden, die Leistung mit Menschlichkeit verbindet. Man muss ehrlich sagen, dass dies nicht immer einfach ist, da Frustrationen und Konflikte vorprogrammiert sind. Führungskräfte und Mitarbeiter müssen auch unter suboptimalen Bedingungen zusammenarbeiten, was mitunter eine große Herausforderung ist.

SG: Wie sollten sich Führungskräfte und Mitarbeiter denn in schwierigen Situationen, die vielleicht auch schnelles Handeln erfordern, verhalten?

Die Mitarbeiter müssen lernen, sich auch in schwierigen Phasen mit der Arbeit zu identifizieren. Umso mehr ist es seitens der Führungskräfte notwendig, die Anfangsbedingungen für die intrinsische Motivation aufrechtzuerhalten. Gerade auch in schlechten Zeiten ist deshalb ethikorientierte Führung notwendig, also Sinn vermitteln, Freiräume lassen oder das Vertrauen geben, dass Ziele erreichbar sind. Das gilt auch für so genanntes Feuerwehrverhalten, wo man ganz schnell agieren muss und sogar ein anderer Führungsstil erforderlich ist. Dieser muss aber trotzdem ethisch sein. Klar, dass direktives Verhalten mit guten Begründungen gerade in solchen Situationen erforderlich ist.

Zur Erklärung: Nicht ethisches Verhalten wäre z.B. diktatorisches Verhalten, das klein macht, Gleichgültigkeit gegenüber den Mitarbeitern und Ähnliches. Leider ist es aber so, dass die Führungskräfte oft nicht die Größe haben, ihre Mitarbeiter entsprechend ihrer Stärken zu entwickeln. Zu oft will man Mitarbeiter nach dem Chef klonen und entmündigt sie dadurch, da sie ihren eigenen Weg nicht gehen können.

SG: Wie lässt sich das auf eine Führungskultur herunterbrechen?

Eigentlich könnte die Welt der Führung sehr einfach sein. Es geht letztlich um die Umsetzung von drei Kulturen: (1) einer Kultur von Exzellenz, wobei es um Spitzenleistungen, Innovation und hohe Qualität geht. Dahinter steckt eigentlich der Philosoph Carl Popper, der betont, dass man Dinge immer weiter verbessern muss und manchmal auch Quantensprünge machen darf, (2) Respektkultur, die von Immanuel Kant proklamiert wurde. Sie beschreibt einen respektvollen und wertschätzenden Umgang, wobei Menschen ihr Potenzial entwickeln können, (3) eine Kultur, die wir ethikorientierte Führung nennen – Vorbild, Verantwortung, Verpflichtung, Vertrauen. Wichtig ist, dass Führung ihr Anforderungsprofil im Sinne der Verbindung von Leistung und Menschlichkeit transparent macht, dass Unternehmen und Teams darüber diskutieren, was diese Kulturen konzeptionell bedeuten, dass man jeweils Positiv- und Negativbeispiele bringt, um die Kulturen erlebbar zu machen. Es geht letztlich um eine laufende Team-Reflektion: Was läuft gut in den drei Kulturen? Was läuft noch nicht gut? Wie können wir uns verbessern?

Ethikorientierte Führung ist „Humanismus plus“

SG: Mit Kienbaum haben wir vor Kurzem die Studie „Die Kunst der Führung im digitalen Wandel“ erstellt. Dabei zeigt sich immer mehr, dass unter modernen Führungskräften Diversity und vielfältige Typen gefragt sind. Ethik ist ein wichtiger Aspekt, aber es gehören noch weitere Eigenschaften dazu. Wie sehen Sie das?

DF: Ethik allein reicht natürlich nicht aus. Aber Ethik ist eine notwendige Bedingung. Ich sage immer: „Humanismus plus“. Zu Humanismus plus gehört eben auch, dass Zahlen, Daten und Fakten stimmen. Es geht immer auch um Qualität, um Höchstleistung, um Innovation. Sonst hat das Produkt oder die Dienstleistung keine Chance. Entscheidend ist darüber hinaus aber, wie man sich gegenüber Mitarbeitern, Kunden und Geschäftspartnern verhält. Insofern ist ethisches Verhalten kausal für Qualität und Leistung. Natürlich gehört dazu auch Diversity im Team und in der Führung. Komplexe Probleme lassen sich eher lösen, wenn unterschiedliche Problemlösekompetenzen, Persönlichkeitseigenschaften und Hintergründe zur Verfügung stehen. Das steigert den Erfolg von Teamarbeit.

Es gilt die Aussage: Keine Erziehung ohne Beziehung, keine Führung ohne Beziehung. Führungskräfte müssen darauf achten, nicht nur auf der Sachebene zu argumentieren, sondern auch die Beziehungsebene zu berücksichtigen. Ist Vertrauen vorhanden? Ist eine positive Atmosphäre vorhanden? Hier wirken oftmals Stress, Druck und Schlecht-Wetterlagen so, dass die Beziehungsebene vernachlässigt wird. Oftmals wird damit Vertrauen zerstört, das nie wieder gut zu machen ist.

Sender und Empfänger sehen die Welt ganz selten gleich – weder von der kognitiven noch von der emotionalen Ausgangslage aus. Das Problem besteht darin, dass man sehr oft die Perspektive wechseln muss, um überhaupt zu verstehen, wo das Gegenüber steht. Vom Empfänger ist natürlich genauso viel Perspektivenwechsel erforderlich. Daran hakt es oftmals. Es ist durchaus sinnvoll, ein hohes Maß an Menschenkenntnis zu haben und vielleicht auch an Lebenserfahrung, wenn man Führungsaufgaben übernimmt.

SG: Ethikorientierte Führung bezieht sowohl die Führenden als auch die Geführten mit ein. Während die einen ihre Mitarbeiter respektvoll behandeln sollen, sollen sich die anderen respektvoll behandeln lassen. Wie kann ein Mitarbeiter, eine Mitarbeiterin diesen Respekt in der Praxis einfordern?

DF: Schon Kant betonte die Wichtigkeit von Respekt und Selbstrespekt. Also nicht nur, dass man sich gegenüber anderen respektvoll verhält, sondern auch, dass man artikuliert, wenn man sich nicht respektvoll behandelt fühlt. Hier müssten die kommunikativen Fähigkeiten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter noch stärker trainiert werden. Sie müssen lernen, wie sie Sprache, Ton, Mimik und Gestik adäquat einsetzen, um zu artikulieren, wenn sie sich nicht respektvoll behandelt fühlen. Nichts zu sagen oder gar Schmollen geht nicht. Wichtig ist, dass Menschen sich trauen, das Gegenüber zu spiegeln – egal, ob es ein Kollege ist oder der Chef. Durch Schweigen hat noch niemand die Welt verändert.

„Hierarchiefreie Kommunikation fördert ethisches Verhalten“

SG: Wenn Sie an die großen Skandale und Krisen der vergangenen Jahre denken, die Finanzkrise 2008 oder den Dieselskandal um VW: Wäre es auch dazu gekommen, wenn in den Banken und in den Konzernen eine ethikorientierte Führungskultur, wie Sie und Ihr Team sie entwickelt haben, implementiert worden wäre?

DF: Unsere Hoffnung wäre, dass es genügend Personen gibt, die in der zweiten Reihe Aufstand leisten, Kontakt zur Führung haben und sagen: Das geht nicht. Leider ist es in der Realität so, dass Informationen in der Hierarchie teils nicht nach oben kommen. Zudem wird mit Druck und Angst geführt, sodass kritische Informationen nicht weitergegeben werden. Die, die auf Integrität und Ehrlichkeit pochen, haben in vielen Unternehmen keine Chance. Zu oft orientiert man sich daran, was die oberen Führungsetagen wollen. Die genannten Beispiele verdeutlichen, wie wichtig eine hierarchiefreie Kommunikation ist, in der sich die Mitarbeiter trauen, Dinge einzeln und im Team nach oben zu transportieren. Natürlich müsste Whistleblowing auch durch das Gesetz viel positiver bewertet werden. Je weniger Mut und Zivilcourage vorhanden sind, desto größer ist die Gefahr, dass sich solche Fälle wiederholen.

SG: Lieber Herr Prof. Frey, ich bedanke mich für dieses umfassende und interessante Gespräch und wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg mit Ihrer wichtigen Arbeit am Center for Leadership and People Management.

Über Dieter Frey

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Bild: © Dieter Frey

Prof. Dr. Dieter Frey ist seit 2007 Leiter des Center for Leadership and People Management der LMU München, eine Einrichtung der Exzellenzinitiative. Er war Inhaber des Lehrstuhls für Sozialpsychologie am Department für Psychologie der LMU, von 1988 bis 1990 Theodor-Heuss-Professor an der Graduate Faculty der New School for Social Research in New York und von 2003 bis 2013 Leiter der Bayrischen Eliteakademie. Er ist seit vielen Jahren in Wissenschaft und Wirtschaft als Berater und Trainer zu den Themen Führung, Motivation, Innovation u.v.m. aktiv. Frey forscht u.a. auf den Gebieten des Entscheidungsverhaltens in Gruppen, der Teamarbeit, der Führung, der Erhöhung von Kreativität und der Motivation und setzt sich für den Transfer zwischen Wissenschaft und Praxis ein. 1998 wurde Dieter Frey von der Deutschen Gesellschaft der Psychologie zum „Psychologen des Jahres“ ausgezeichnet. 2011 bezeichnete ihn die Zeitschrift Personalmagazin als „Praktischen Ethiker“ und einen der führenden Köpfe im Personalbereich in Deutschland. 2016 erhielt er eine Auszeichnung der Margrit-Egner-Stiftung Zürich für seine Arbeiten, die zu einer humaneren Welt beitragen.

Quelle Titelbild: Steve Harveyunsplash.com

 
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