Innovationen, wie sie entstehen und was sie bewirken ist ein Thema, das mich nicht loslässt. Meine Reise nach Afrika ins Silicon Savannah im Januar 2019 hat mir wieder vor Augen geführt, wie viel einfacher Innovationen entstehen, wenn noch keine Strukturen vorhanden sind. Andererseits: Wieviele Innovationen hätten wir in Deutschland nicht, wenn nicht harte gesetzliche Vorgaben die Industrie dazu gezwungen hätte, fast schon brutal neue Dinge zu erfinden. Der Katalysator oder die LED Lampe zählen dazu, um nur zwei Beispiele zu nennen. In Deutschland kocht gerade das Thema Sprunginnovationen hoch: Die deutsche Wirtschaft muss innovativer werden, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Deshalb plant die Bundesregierung eine Agentur für Sprunginnovationen. Vor Kurzem war ich zu diesem Thema beim öffentlichen Hearing, das von meinem langjährigen Weggefährten Thomas Sattelberger initiiert wurde. Dort waren auch die Chefs der US Agentur DARPA und der schwedischen Innovationsagentur Vinnova auf dem Panel beteiligt. Sie zeigten, dass wir gerade erst langsam und mit geringen Mitteln etwas aufbauen, das in anderen Ländern seit vielen Jahrzehnten etabliert und sehr erfolgreich ist. Doch können Erfindungen überhaupt forciert werden – und wenn ja, wie? Oder ist der geniale Einfall mehr oder weniger Glückssache? Wie entstehen echte Innovationen in den Köpfen der Erfinder? Anhaltspunkte liefern die Konzepte Serendipity und First Principle Thinking, die ich Euch in diesem Blogbeitrag näher vorstelle.
Entdeckungen durch glücklichen Zufall
Miriam Meckel, eine geschätzte Netzwerkpartnerin und bekannte Publizistin hat vor Kurzem ein tolles Buch mit dem Titel „Wer nicht sucht der findet“ herausgebracht, in dem sie sich mit dem Phänomen „Serendipity“ beschäftigt. Das Buch ist eine Zusammenfassung ihrer seit Jahren bekannten Serendipty Newsletter, die es leider seit einigen Monaten nicht mehr gibt.
Serendipity ist mir ein Begriff, seit ich 2005 das geniale Buch von James Surowiecki „Die Weisheit der Vielen“ gelesen habe. Es bezeichnet einen Glücksfall, in dem eine zufällige Verkettung von Umständen zu einer bahnbrechenden Entdeckung oder Erfindung geführt hat. Der Begriff Serendipity leitet sich aus dem Persischen her. In dem Märchen „Die drei Prinzen von Serendip“ machen diese durch Zufall zahlreiche Entdeckungen. Der US-amerikanische Soziologe Robert Merton nutzte den Begriff erstmals für wissenschaftliche Entdeckungen und verbreitete ihn zur Bezeichnung von genialen Erfindungen von Forschern. Ich lebe dieses Prinzip schon immer zu Beginn ohne das ich wusste, daß man manches davon Serendipity nennt , weil es meiner Philosophie von Vernetzung, Offenheit und Transparenz entspricht und genaue diese Mischung Serendipity ermöglicht. Mit anderen Worten ist meine Philosophie dazu „es gibt keine Zufälle“.
Beispiele für Serendipity
Ein paar bekannte Beispiele für Serendipity sind:
- Penicillin: Der Bakteriologe Alexander Fleming entdeckte in einer angeschimmelten Petrischale, dass rund um die Schimmelpilze die Bakterien gestorben waren bzw. deren Wachstum verhindert worden war. Eine zufällige Entdeckung, die Millionen von Menschen das Leben gerettet hat.
- Viagra: Das Medikament war ursprünglich zur Behandlung von Herz-Kreislauferkrankungen gedacht. Studienteilnehmer berichteten von der Nebenwirkung einer Erektion – vor 20 Jahren kam Viagra als erstes Medikament gegen Erektionsstörungen auf den Markt.
- Röntgenstrahlen: Wilhelm Conrad Röntgen entdeckte die Strahlung, als er fluoreszenzfähige Gegenstände nahe der Röhre während des Betriebs der Kathodenstrahlröhre beobachtete. Diese begannen zu leuchten, obwohl die Röhre abgedeckt war.
- Die Entdeckung Amerikas: Christopher Kolumbus war 1492 auf der Suche nach einem neuen Seeweg nach Indien, als er den amerikanischen Kontinent entdeckte. Dass er auf seinem Weg, zu beweisen, dass die Erde keine Scheibe ist, in Amerika landete, war schlicht Zufall.
Auch Kartoffelchips, Teflon, Saccharin und LSD wurden durch Serendipity, glückliche Zufälle, entdeckt. Die Liste lässt sich beliebig lange fortführen.
Mehr Glück als Verstand?
All die oben genannten, teils revolutionären Erfindungen, waren glückliche Zufälle. Die Forscher und Entdecker waren eigentlich auf der Suche nach etwas ganz anderen, als sie ihre bahnbrechenden Entdeckungen machten. Kann man daraus schließen, dass geniale Erfindungen reiner Glücksfall sind?
Mitnichten. Denn all diese Forscher und Entdecker waren Experten auf ihren jeweiligen Gebieten. Sie studierten und forschten schon viele Jahre in ihren Gegenstandsbereichen. Ihre Entdeckungen waren deshalb keinesfalls reine Glücksfälle. Diese wurden nur zu revolutionären Erfindungen, weil die Forscher in der Lage waren, die beobachteten Phänomene so einzuordnen, dass daraus etwas wirklich Neues und Bahnbrechendes entstehen konnte. Dafür braucht es vor allem Unvoreingenommenheit und die Fähigkeit, über den Tellerrand hinauszuschauen: Hätte Alexander Fleming die schimmlige Petrischale in den Müll geworfen, statt genauer hinzuschauen und sich zu fragen, warum die Bakterien nicht weiterwachsen, wären viele Krankheiten auch heute noch tödlich, die wir mit Antibiotika längst behandeln können.
Statt nur auf das ursprüngliche Ziel zu schauen, basierend auf Vorannahmen und Schlussfolgerungen, wagten die Erfinder einen Blick nach rechts und links und kamen so zu echten Innovationen. Das Zauberwort lautet Innovation Mindset. Denn nur mit einer entsprechenden Einstellung sind wir überhaupt in der Lage neue Ideen zu denken. Auf der anderen Seite brauchen wir klare Rahmenbedingungen, die es uns ermöglichen, mit diesen Ideen zu experimentieren und die Innovationen dann auf die Straße zu bringen.
Unvoreingenommen komplexe Probleme betrachten
Dieses Prinzip der Unvoreingenommenheit liegt auch dem „First Principle Thinking“ zugrunde, das Elon Musks Philosophie zu Innovieren zugeschrieben wird. Musk ist wohl einer der größten Innovatoren und radikalen Erfinder unserer Zeit. Er hat drei milliardenschwere Firmen aus den unterschiedlichsten Bereichen aus dem Boden gestampft und damit die traditionellen Player in der jeweiligen Sparte stark unter Druck gesetzt: Paypal, Tesla und SpaceX sind seine Gründungen. Die Ideen dazu stammen von Musk selbst. Alle drei erschienen zunächst völlig abstrus, weit weg vom Denkbaren, eigentlich unmöglich – sie wurden als Zeitverschwendung eines verrückten Typen eingeschätzt. Aber das Gegenteil ist der Fall. Musk setzt das Unmögliche um.
Vorurteile und Schlussfolgerungen ausblenden
Wie kommt Elon Musk auf diese innovativen disruptiven Ideen? Er nutzt dafür eine Denkweise, die er „First Principles Thinking“ nennt. Schlussfolgerungen und Annahmen werden konsequent ausgeblendet, um komplexe Probleme von Grund auf erst bis ins Tiefste zu verstehen – und sie dann zu lösen.
Beim „First Principles Thinking“ geht es darum, jegliche Art von Vorurteilen und Einschränkungen des Denkens zu erkennen, zu hinterfragen und zu überwinden. Denn meist tappen wir bei komplexen Problemen in die Falle unseres Herdentriebes, unserer Unconscious Biases, die uns Annahmen und Denkweisen von der Mehrheit übernehmen lässt. Aber indem man denkt wie alle denken, entstehen keine großartigen Neuentdeckungen und Innovationen. First Principles Thinking lehrt uns, daraus auszubrechen. Wir müssen es nur zulassen.
3 Schritte des First Principles Thinking
Um zum Kern eines Problems und seiner Lösung vorzustoßen, gilt es beim First Principles Thinking aktiv alles, was man über ein Problem oder Szenario zu wissen glaubt, beiseite zu legen. Völlig unvoreingenommen betrachtet man dann allein das Problem selbst und versucht zu einer passenden Lösung zu kommen. First Principles Thinking vollzieht sich in 3 Schritten:
- Identifizieren und Benennen aller Vorannahmen in Bezug auf das Problem
- Das Problem auf seine fundamentalen Prinzipien herunterbrechen
- Grundlegend neue Lösung des Problems skizzieren
Um sich über die einschränkende Macht vorgefertigter Meinungen klar zu werden, müssen wir keine unheilbaren Krankheiten oder menschheitsbedrohende Probleme wie den Klimawandel betrachten. Zur Illustration reicht ein Blick in den Alltag. Wie oft wagen wir es nicht, etwas in unserem Leben zu verändern, weil wir denken, dass wir es sowieso nicht schaffen. „Als Künstler kann ich mich nicht finanzieren.“, „Neben dem Job habe ich keine Zeit für Sport.“, „Diese Innovation auf den Markt zu bringen ist zu teuer und zu risikoreich.“ Egal ob im Kleinen oder im Großen: Das Prinzip ist das Gleiche und es lässt sich durch First Principles Thinking überwinden.
Probleme lösen mit First Principles Thinking
Im Interview, in dem Musk die Methode vorstellt, nennt er ein Beispiel.
Das Problem: Batterien sind sehr teuer – im Schnitt 600 Dollar pro Kilowattstunde. Die Grundannahme: Batterien sind eben teuer und das wird auch so bleiben.
Im 1. Schritt des First Principles Thinking würde man nun diese Grundannahmen (teuer, keine Änderung in Sicht) identifizieren und beiseite schieben.
Im 2. Schritt geht es darum, das Problem von Grund auf zu erfassen. Im Beispiel wäre eine mögliche Frage: „Aus welchen Materialien bestehen Batterien? Zu welchem Preis werden sie gehandelt? Was würde es uns kosten, die Materialien an der Börse zu kaufen?“ Dieser Preis läge dann etwa bei 80 Dollar pro Kilowattstunde.
Der 3 Schritt befasst sich dann mit der Frage, wie sich die Bestandteile auf kluge Art und Weise zu Batteriezellen kombinieren lassen – und man erhielte also Batterien, die nur einen Bruchteil dessen kosten, was Batterien sonst kosten.
Zu erraten, wer der erste Unternehmer ist, der die weltweit größte Batteriefabrik, die sogenannte Tesla Gigafabrik1 umgesetzt hat und auch damit als Innovator für die Branche gilt, ist damit nicht schwer.
First Principles Thinking und Serendipity – perfekte Ergänzung, geniale Erfindung
Die Beispiele für bahnbrechende Erfindungen, die auf glückliche Zufälle zurückzuführen sind, zeigen: Die Forscher waren in der Lage, unvoreingenommen zu beobachten und über den Tellerrand hinauszuschauen. Statt sich stur auf die Lösung ihres ursprünglichen Problems zu forcieren wagten sie den Blick um die Ecke – und waren so erst in der Lage, die geniale Entdeckung zu machen.
Unvoreingenommenheit, genaue Beobachtung, das Verlassen von eingefahrenen Denkmustern – diese Zutaten sind essenziell, wenn man systematisch komplexe Probleme lösen will. Wenn dann noch der glückliche Zufall dazu kommt, ist es die geniale Entdeckung.
Wann habt Ihr schon mal Serendipty erlebt? Gar bewusst provoziert? Wer nicht sucht, der findet. Viel Spaß wünsche ich Euch über dem Tellerrand.
Quelle Titelbild: rawpixel / Unsplash.com
Danke für den inspirierenden Artikel!
Ich mag die Verknüpfung des Serendipity Prinzips mit den 1st principles sehr.
Ein weiterer interessanter Zugang zu dem Mindset zur Offenheit für Veränderung und Ambiguity beschreibt Steven Johnson in seinem Buch „Where Good Ideas Come From: The Natural History of Innovation“.
Hier werden nicht ausschließlich Zufälle beschrieben. Auch diffuse Ahnungen können mit dem Prinzip der Offenheit angenommen werden und manchmal sogar erst nach Jahren zu einer Verknüpfung von Annahmen und Zufällen zu konkreten Innovationen führen.
In einer Welt von stetiger Veränderung, Unsicherheit und Komplexität ein wichtiger Anker, um nicht zu schnell auf Autopilot zu schalten.