Deutsche Telekom AG, Telekom, Wahl der Führungskräfte, Corporate Communication
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Deutsche Telekom AG hat Führungsrollen demokratisch gewählt

„Menschen kommen zu Unternehmen, aber verlassen Vorgesetzte.“ Das bekannte Zitat von Reinhard Sprenger wird in der Realität seit Jahren bestätigt. Der Gallup Engagement Index ist Deutschlands renommierteste und umfangreichste Studie zur Arbeitsplatzqualität. Die Ergebnisse sind ernüchternd. Demnach ist der Anteil deutscher Arbeitnehmer, die emotional nicht an ihren Arbeitgeber gebunden sind, 2015 auf 15 Prozent gesunken. Die Frage nach dem Grad der Bindung der Mitarbeiter an ihr Unternehmen steht und fällt mit der Qualität der Führung.

Doch nicht alle Unternehmen sind gleich, vor allen Dingen nicht alle Führungskäfte. Viele wissen, daß wir bei der Haufe-umantis AG, alle Führungskräfte einmal pro Jahr wählen. Hierzu gibt es unzählige Berichte. Einen Beitrag mit dem Titel „Demokratie bei Haufe-Umantis: Hier wird der Chef gewählt“ habe ich verlinkt.  Ich schreibe in diesem Beitrag über die Wahl von Mitarbeitern erstmals in einem DAX-Konzern, den wir in diesem Experiment begleiten durften: die Deutsche Telekom AG.

Interview mit Philipp Schindera, Leiter der Unternehmenskommunikation der Deutschen Telekom AG, über die Wahl von Führungskräften

Lieber Philipp, wir kennen uns seit vielen Jahren und haben einige Jahre zusammengearbeitet. Sicher kennen Dich nicht alle Leser in meinem Blog. Stelle Dich doch bitte kurz vor.

Mein Name ist Philipp Schindera. Ich verantworte den Bereich Unternehmenskommunikation der Deutschen Telekom AG. Unsere Hauptaufgabe ist die Kommunikation nach innen und nach außen. Im weitesten Sinne, alle „nicht-werbliche“ Kommunikation. Früher hätte man gesagt: Klassische Pressearbeit. Ich bin ein Urgestein der Telekom, mittlerweile seit 20 Jahren dabei. Von Hause aus bin ich eigentlich Radiojournalist.

Du führst den Bereich Corporate Communication nicht wie eine klassische Konzerneinheit. Ihr habt Euch vor einigen Jahren auf den Weg gemacht, Dinge anders zu machen. Schildere doch bitte was Euer „Way of Work“ ist.

Die Digitalisierung ändert alles, vor allem die Art und Weise wie wir kommunizieren. Das hat auch Auswirkungen auf unsere Arbeit. Salopp gesagt, reichte es früher eine Pressemitteilung rauszufaxen und 20 Journalisten abzutelefonieren. Das ist heute ganz anders. Von daher war klar, dass wir unsere Arbeitsweise diesen geänderten Umständen anpassen müssen. Wir haben uns für eine Projektorganisation entschieden. Mit flachen Hierarchien und viel Eigenverantwortung für den einzelnen Mitarbeiter. Wir trennen dabei bewusst die inhaltliche Führung und die Personalführung des Bereiches, weil nicht jeder der stark in den Themen ist, automatisch eine gute Führungskraft ist und umgekehrt. Außerdem haben wir die Budgets zentralisiert. Unsere Arbeitweise ähnelt der von Unternehmensberatungen oder Kommunikationsagenturen. Für große Unternehmen ist das absolutes Neuland. Wir machen das nun bereits im fünften Jahr. Es vergeht keine Woche, in der nicht jemand bei uns aufschlägt und wissen möchte, wie das bei uns klappt und funktioniert.

Das klingt für junge Start-up-Unternehmen eher als Standard. Für traditionsreiche Konzerne mutet das schon an organiatorischer Disruption. Wie habt Ihr Euch über übliche Konzernhürden und Bedenkenträger hinweggesetzt?

Deutsche Telekom AG, Telekom, Wahl der Führungskräfte, Corporate Communication
Die Telekom-Mitarbeiter bei der Wahl ihrer Führungskräfte (Bild: © Deutsche Telekom AG)

Witzigerweise war es die Personalabteilung, die mit der Idee kam. Allerdings hat, glaube ich, keiner erwartet, dass wir sie so konsequent umsetzen würden. Wir haben den Spielraum, den wir hatten, voll ausgenutzt. Wirkliche Hürden gab es da gar nicht. In den letzten zwei Jahren hat sich aber gezeigt, wo die Grenzen sind. Wir sind halt in diesem Bereich ziemliche Exoten. Unsere Abteilung ist über 100 Leute groß, ohne die übliche Abteilungsstruktur. Bei den regelmäßigen Pulschecks fängt das Problem schon an. Wir würde gerne ein Auswertung pro Projekt haben. Das lässt das Tool aber nicht zu. Es kann nur auf Abteilungsebene auswerten. Oder zum Beispiel beim Thema „Karrierewege“ – die klassische Karriere entlang der Hierarchieleiter – gibt es bei uns nicht. Folgerichtig fragen mich meine Mitarbeiter, welche Perspektiven ich Ihnen aufzeigen kann. Fachkarrieren wären hier der richtige Weg. Damit tut sich jedoch ein Unternehmen schwer, das fast ausschließlich hierarchisch und noch eher traditionell geprägt ist.

Wie werdet Ihr von anderen Abteilungen innerhalb der Telekom gesehen? Heißt es dann die „Verrückten aus Corporate Communication“ oder die „Trendsetter neuer Arbeitsweisen“?

Wir erfahren viel Anerkennung und sind gefragte Ratgeber, weil immer mehr die Vorteile unserer Herangehensweise erkennen. Gleichzeitig haben sie oft keine Vorstellung, wie man das vernünftig umsetzt. Von daher sind wir hier mittlerweile auch „kleine“ Managementberater. Ich will aber nicht verhehlen, dass sicher der ein oder andere den Kopf schüttelt, weil er nicht versteht, warum man ohne wirkliche Not die Insignien der Macht in einem Großkonzern aufgibt: Menschen und Geld.

Bei Haufe-umantis wählen wir zu Beginn jeden Jahres unsere Führungsmannschaft. Mit der Mitteilung der Ergebnisse habe ich am 11. Februar 2016 einen Tweet geschrieben „Wir suchen den ersten DAX Konzern, der mutig ist und seine Führungskräfte wählt“. Du hast Dich prompt darauf per Twitter bei mir gemeldet. Was hat Dich dazu bewegt?

Die Idee schwirrte mir schon etwas länger im Kopf herum, weil mir das eigentlich als logische Weiterentwicklung unseres Ansatzes erschien. Wenn Mitarbeiter eigenverantwortlich Projekte umsetzen, sollten Sie auch ein Wort bei der Besetzung von Posten mitreden dürfen. Irgendwie klang das aber selbst für mich sehr exotisch. Als ich den Tweet sah und den Artikel dazu las, dachte ich mir: „Hey, da hatte jemand nicht nur die Idee, sondern sie auch noch umgesetzt. Darüber will ich mehr erfahren.“

Kurz darauf waren Herman Arnold, der Gründer von Haufe-umantis AG, und ich bei Dir und Deinem Team. Wir haben ausführlich darüber gesprochen, was eine Wahl für Euch bedeuten könnte. Nach dem Termin dachten wir uns „nie und nimmer traut sich jemand bei der Deutschen Telekom AG diesen Schritt zu gehen“. Ihr habt uns wirklich überrascht.

Danke für die Blumen. Ich hab das schon öfters gehört: „Finde ich mutig, was ihr macht“. Ich empfinde das gar nicht so. Wir haben gesagt, dass wir im Rahmen eines Piloten mal ausprobieren wollen, wie das funktioniert. Was ist daran mutig?!

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Mitarbeiterin gibt Ihre Stimme bei der Wahl der Führungskräfte ab. (Bild: © Deutsche Telekom AG)

Schildere doch bitte kurz, was Ihr dann angestossen habt?

An diesem Punkt begann eigentlich der schwierigste Teil unseres Vorhabens: Die Vorbereitung! Kein unüberbrückbaren Hindernisse. Jedoch sind eine Menge Details zu beachten, an die man vorher gar nicht denkt: Wer ist wahlberechtigt? Auch Azubis, Duale Studenten und Volontäre, also Leute, die nur eine gewisse Zeit bei uns sind? Was ist, wenn wir nicht genug Kandidaten haben? Sind diese dann automatisch gewählt? Welche Hürde setzen wir? Einfache oder absolute Mehrheit? Wieviele Stimmen hat jeder? Eine oder vier, weil wir ja vier Posten zur Wahl gestellt haben?  Wie lange ist die Wahlperiode? Was ist mit Briefwahl? Wie ist der Wahlkampf? Da war uns das Gespräch mit Euch und die Erfahrungen, die Ihr gemacht habt, eine große Hilfe. Und es hat sich gezeigt: So ein Wahl ist sehr viel kleinteilige Vorbereitungsarbeit. Und es hat sich absolut gelohnt. Der Telekom Wahl-Prozess als weiterführende Information ist am Ende des Beitrags zum download verlinkt.

Ihr habt vier Personen in Euren Führungskreis gewählt. Wie war die Wahl und dessen Vorbereitung? Was waren die Reaktion in Euren Teams?

Die Reaktion war von Anfang an sehr positiv. Die Tatsache, dass sich von 138 Wahlberechtigten 18 zur Wahl gestellt haben, hat alle unsere Erwartungen übertroffen. Es war eine tolle Erfahrung zu sehen, wie ernst das Thema genommen wurde. Es war ein wirklich toller, kreativer und inhaltsstarker Wahlkampf. Ich freue mich auf die erste Sitzung in der neuen Zusammensetzung.

Was ist Dein persönliches Highlight?

Das absolute Highlight war der Wahltag selbst. Zunächst haben sich alle Kandidaten kurz mit ihren Programmen vorgestellt. Anschließend wurde gewählt. Am Ende hatten wir ein tolles Ergebnis, mit vier Leuten, die der Arbeit im Führungskreis sicher neue Impulse verleihen werden. Es war eine ganz besondere Atmosphäre. Man konnte fühlen, dass dies ein historischer Moment war.

Was würdet Ihr beim nächsten Mal anders machen?

Nichts. Das ist gut gelaufen. Es gab keine Beschwerden oder Verbesserungsvorschläge. Wir haben uns intensiv vorbereitet. Das hat sich gelohnt.

Wie soll es weitergehen? Habt Ihr schon Ideen, was Ihr mit den Erfahrungen aus diesem Experiment macht?

Deutsche Telekom AG, Telekom, Wahl der Führungskräfte, Corporate Communication
Elfriede Schmitt-Jones und Philipp Schindera bei der Abgabe eines Stimmzettels zur Wahl von Führungskräften im Bereich Corporate Communication (Bild: © Deutsche Telekom AG)

Wir wollen erst mal weiter Erfahrungen sammeln. Dafür geben wir uns ein Jahr Zeit. Bei entsprechend positivem Verlauf könnte ich mir vorstellen, dass wir das Thema „Wahlen“ noch ausdehnen werden. Derzeit werden die Projektleiter noch vom Führungskreis festgelegt. Warum soll das jeweilige Team sie nicht selbst wählen? Stellenneubesetzungen: Warum nicht die Mitarbeiter wählen lassen, wer der nächste Kollege ist? Bei dem Thema stehen wir erst ganz am Anfang. Wir sind in dem Fall nicht die Presseabteilung oder die Telekom als Unternehmen.

Danke Philipp für Deine Einblicke und Erfahrungen aus diesem „Experiment“. Ich durfte Euch in diesem Prozess begleiten und war sehr angetan mit welcher Konsequenz und gleichzeitig auch Leichtigkeit Ihr diesen Wahlprozess umgesetzt habt. In dem angehängten Dokument „WAHLEN@COM“ stellt Ihr meinen Blog-Lesern Euren Wahlprozess zur Verfügung. Vielen Dank für diese Transparenz.

Wir haben auch in Zukunft einiges miteinander zu tun. Ich werde sicherlich immer mal wieder über Eure Erfahrungen auf meinem Blog berichten. Darauf freue ich mich schon heute. Ich wünsche Euch alles Gute.

 

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6 Kommentare zu “Deutsche Telekom AG hat Führungsrollen demokratisch gewählt

  1. Das ist wirklich nicht neu oder neue Flasche alter Wein.
    Habe ich schon 1987 als HR Manger – damals hieß es noch Personaleiter – im technischen Bereich – sogar bei der Einstellung und Auswahl der Führungskräfte in Abstimmung mit meinen Direktorenkollegen und Diskussionen mit den Mitarbeitern eingeführt. Dabei brauchten wir keine Urne. Es waren sehr konstruktive offene Diskussionen mit den Mitarbeitern deren Ergebnisse von allen! akzeptiert wurden. So tolle Einarbeitungen und wirksam werden von neuen Mitarbeitern und Führungskräften hatte ich noch nie erlebt. Auch der Betriebsrat war sehr angetan.

    Zur Info das Unternehmen hatte ca 2300 Mitarbeiter und war international tätig.
    Kann diese Vorgehensweise nur empfehlen.

    Macht es nicht zu kompliziert.

    wird nicht immer funktionieren es gibt immer noch karrieregeile Frauen und Männer.
    aber genau dann ist der Gruppeneffekt um nicht zusagen der Gruppendruck auch hilfreich.

    In meinem obigen Bespiel entschieden Sich die Mitarbeiter für einen aus ihren Reihen als neue Führungskraft, was wunderbar funktionierte.

    Herr Grabmeier ich kann es mir nicht verkneifen, wir kommunizieren immer nach mit E-Mail, sollte doch seit mehren Jahren tot sein….

    1. Lieber Herr Zischweski,

      danke für Ihren Beitrag. Das ist klasse, daß es andere Beispiele wie das Ihrige gibt. Uns ist bewusst, daß demokratische Strukturen weder neu noch einzigartig sind. Auch wir hatten Vorbilder die uns inspiriert haben. Für uns ist es aber kein alter Wein in neuer Flasche sondern in der aktuellen Struktur und Kultur ein wirklich neues Experiment.

      Wie haben Sie Ihr Konzept seit 1987 entwickelt und angewandt?

      Beste Grüße
      Stephan Grabmeier

  2. Mich würde interessieren, ob vorher schon Führungskräfte vorhanden waren und falls ja, was aus diesen geworden ist? Und erhalten die Führungskräfte dort mehr Geld als die anderen Angestellten? Falls ja, dann nur für ein Jahr?

    1. Hallo Frau Mertke,

      das beschriebene Beispiel der DT AG hat MitarbeiterInnen als Gast für 12 Monate in den Führungskreis gewählt. Daher wurden die Rollen neu geschaffen. Die Rollen sind in dem Fall unabhängig einer direkten Gehaltsentwicklung.

      Beste Grüße
      Stephan Grabmeier

  3. Hallo, durchaus interessanter Ansatz. Was m.E. aus dem Artikel nicht hervorgeht: was wurde überhaupt gewählt, ein Projekteiter, ein Linienvorgesetzter, oder ….? Was passierte mit den bisherigen Funktionsträgern/ Stelleninhabern?

    Wäre schön, darüber etwas mehr zu erfahren.

    BG

    Michael Kohlhaas

    1. Hallo Herr Kohlhaas,

      das beschriebene Beispiel der DT AG hat MitarbeiterInnen als Gast für 12 Monate in den Führungskreis gewählt. Die Rollen wurden neu geschaffen, es gab keine vorherigen Stelleninhaber.

      Bei uns, der Haufe-umantis AG, wählen wir jede 12 Monate alle Führungsrollen – vom Verwaltungsratsvorsitz, über das Top Management, Teamleads aber auch alle agilen Rollen wie Scrum Master oder Product Owner. Es kann sein, daß Stelleninhaber nicht mehr gewählt werden. In unserer Kultur ist Step down kein Stigma. Jeder kann sich nach einer Abwahl wieder in eine neue Rolle einfügen. In den letzten 5 Jahren wurden 12 KollegenInnen abgewählt oder sind nicht mehr angetreten. Alle sind noch im Unternehmen. In einer klassischen Kultur mit Kaminkarrieren gibt es meist nur up or out. Das Prinzip vermeiden wir dadurch. Wir halten somit gute Kräfte im Unternehmen. Das Modell nennt sich bei uns Spiralkarriere.

      Beste Grüße
      Stephan Grabmeier

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